Am 13. November 2010 wird in München zum zweiten Mal der Antifa Actionday stattfinden. Anlass hierfür ist der mittlerweile dritte Versuch von Nazis einen so genannten „Heldengedenkmarsch“ durchzuführen. Wir wollen an diesem Tag mit einer Demonstration gemeinsam antifaschistische, linksradikale Inhalte auf die Straße tragen und jeglicher Verherrlichung des Nationalsozialismus und der Verdrehung der Geschichte unseren entschiedenen Widerstand entgegensetzen.
Heldenverklärung und Geschichtsrevisionismus
Die Nazis wollen mit ihrem Aufmarsch die Soldat_innen¹ von Wehrmacht und SS-Truppen als „Helden“ darstellen und deren Taten relativieren beziehungsweise als „Heldentum“ beweihräuchern. Daher ist es nicht verwunderlich, dass sie ihren geplanten Aufmarsch als „Heldengedenken“ titulieren und mit dieser Benennung ganz gezielt an dessen nationalsozialistische Tradition anknüpfen, wobei sie mit den deutschen Armeen eine der zentralen Säulen des nationalsozialistischen Deutschlands glorifizieren.
Hierbei bedienen sie sich verschiedener Strategien:
So sollen die Verbrechen der Nazis relativiert werden, indem die Einzigartigkeit des Ausmaßes und die spezifische Verfasstheit in Zweifel gezogen werden. Dazu werden sie mit anderen historischen Ereignissen auf eine Ebene gestellt. Exemplarisch hierfür ist die von der extremen Rechten oft verwendete Bezeichnung „Bombenholocaust“ des alliierten Bombardements Dresdens im Jahr 1945. Der industrielle Massenmord an Millionen Menschen wird in zynischer Weise mit den Kriegseinsätzen der Alliierten, die den Nationalsozialismus letztendlich beendeten, gleichgesetzt.
Des weiteren soll durch die schlichte Leugnung von Fakten, Taten und Ereignissen die Geschichte verdreht werden. So vertreten Nazis auch heute noch die abstruse These, dass Deutschland den Zweiten Weltkrieg nicht begonnen habe. Auf dem so genannten „Nationalen Antikriegstag“ wird seit einigen Jahren in Dortmund von Nazis allen Ernstes noch die Propaganda des „Verteidigungskrieges gegen Polen“ verbreitet. Zentral ist außerdem die Verharmlosung des Holocaust, bei dem beispielsweise die Opferzahlen massiv heruntergelogen werden. Dies geht hin bis zur kompletten Leugnung des Geschehenen.
All diese Strategien laufen letztendlich auf das gleiche Ziel hinaus. Am Ende sollen historische Tatsachen so weit verdreht sein, dass der Aggressor Nazideutschland als das eigentliche Opfer des Zweiten Weltkrieges erscheint. Nicht ohne Grund ist Geschichtsrevisionismus seit Jahren eines der beliebtesten Betätigungsfelder von Nazis und anderen Rechten in Deutschland. Über diesen Versuch des Reinwaschens soll letztendlich der Nationalsozialismus als Ganzes rehabilitiert werden, um ihn auch im Hier und Jetzt wieder als denk- und umsetzbar präsentieren zu können. So bezieht sich der Geschichtsrevisionismus der Nazis nicht nur auf die Vergangenheit, sondern hat in seiner Konsequenz auch für heute politische Ziele.
Diese Auffassungen der Nazis haben relativ wenig mit deren angeblicher oder tatsächlicher geschichtlicher Unkenntnis zu tun. Deswegen ist es auch mehr als müßig zu meinen, dagegen einzig mit dem Aufzeigen der korrekten Fakten vorgehen zu können. Wahnhaft irrationale Weltanschauungen, wie die der Nazis, sind in ihrer Konzeption obendrein relativ resistent gegen von außen herangebrachte auf Vernunft basierende Argumentationen und Faktenlagen. Antifaschismus muss diese Ideologien als das begreifen und angreifen, was sie sind: Real wirkmächtige, politische Projekte und eben kein rein „falsches Wissen“.
Deutscher Militarismus
Das Abfeiern deutschen „Soldatentums“ ist in diesem Kontext sowohl Ausdruck als auch Mittel zur Festigung und Durchsetzung nationalsozialistischer Ideologiefragmente. Die deutschen Armeen waren nicht nur für die kriegerische Politik Deutschlands notwendig. Männliche Soldaten waren die gesellschaftliche Vorbildrolle schlechthin im Nationalsozialismus.
Von Partei bis hin zur Jugenderziehung in Hitlerjugend (HJ) und Bund deutscher Mädel (BDM), vom Kulturbetrieb bis zur Alltagssprache waren so gut wie alle gesellschaftlichen Institutionen nach militärischem Vorbild aufgebaut und daran ausgerichtet. Das Prinzip des Kampfes und des Krieges hatte grundlegende Bedeutung.
Die Welt durch eine klare Grenzziehung zwischen „Wir-Gruppe“ und „den Anderen“ einzuteilen ist ein Kernelement von Ungleichheitsideologien wie dem Nationalsozialismus. Beim Militär findet diese zweigeteilte Logik ihren Ausdruck im Denken in „Kameraden“ und „Feinden“ ². Ein Dazwischen gibt es nicht.
Militarismus findet sich nicht nur bei Nationalsozialist_innen. Zwar ist die Wehrmacht beim Gros der hiesigen Bevölkerung nicht mehr allzu hoch angesehen, aber militärische Tugenden finden dennoch ein nicht unerhebliches Echo. Männlichkeitskult, Disziplin oder Gehorsam bestimmen nicht nur die Naziszene oder die Bundeswehr sondern weit mehr gesellschaftliche Bereiche. Der so genannte „Volkstrauertag“, der den Nazis als Anlass zu ihrem Marsch dient, ist trotz der teilweise gezogenen Verbindungslinien und Kontinuitäten zu Wehrmacht und SS zwar eine militaristische und nationalistische, aber keineswegs eine allein nazistische Veranstaltung. Erstmals 1922 zur Glorifizierung der „deutschen Soldaten“ des ersten Weltkrieges durchgeführt – 1934 von den Nazis zum „Heldengedenken“ erweitert – wird dieses Spektakel in der BRD seit 1952 wieder offiziell begangen. Undifferenziert soll mit Kranzabwürfen und einer „Feierstunde“ im Bundestag pauschal der Opfer von Krieg und Gewalt gedacht werden. Die Grenzen zwischen Opfern und Täter_innen werden hierbei gänzlich außer Acht gelassen. Ziel dieser Veranstaltung ist es auch, mit dem Verweis auf die Geschichte deutscher Armeen, deren gegenwärtige Taten zu legitimieren und deren Positionen zu stärken. Der „Volkstrauertag“ ist nach wie vor integraler Teil militaristischer Diskurse und Praxen in Deutschland.
Konkret führt Deutschland seit 1999 wieder weltweit Krieg. Damit einher geht dessen ideologische Festigung und die Militarisierung der Gesellschaft. An den meisten Schulen und Ausbildungsstätten kann die Bundeswehr ungestört auf Werbefeldzug gehen und seit dem G8-Gipfel in Heiligendamm auch wieder im Inneren eingesetzt werden. Seit Jahren finden vermehrt „Gelöbnis“ genannte, öffentliche Vereidigungen neuer Rekrut_innen statt, um deren Rückhalt in der Bevölkerung zu stärken. Und dass die paramilitärische Organisation „Frontex“ an den EU-Außengrenzen versucht, Migration zu „managen“ ist eine weitere Facette zunehmender Militarisierung der Zustände.
Militär und Männlichkeit
Es greift zu kurz, Militarismus ohne den Bezug auf den Faktor Geschlechtlichkeit zu kritisieren. Geschlechter sind nichts naturgegebenes; sie sind sozial konstruiert, von Menschen gemachte Verhältnisse. Heutige Vorstellungen von „männlich“ und „weiblich“ sind zweigeteilt, Menschen sollen hiernach entweder „Männer“ oder „Frauen“ sein. Beiden werden gegenteilige Eigenschaften zu- beziehungsweise abgesprochen. Durch die Einteilung in „Männer“ und „Frauen“ werden alle Menschen in ein Hierarchiesystem gestellt. Hinzu kommt, dass es nichts außerhalb dieser Logik geben soll. Menschen, die den herrschenden Geschlechterlogiken nicht entsprechen oder nicht entsprechen wollen erfahren dafür mitunter massive gesellschaftliche Sanktionierungen.
Das Militär ist eine spezifische Form männlicher Zurichtung. Ihm unterliegen klar als „männlich“ konstruierte Eigenschaften, wie Macht, Dominanz, Härte, Disziplin und Gehorsam, männerbündelnde Kameradschaften, (waffen-)technologisches Expertentum und aggressiv-gewalttätiges Verhalten.
Der Faktor der Männlichkeit beim Militär ist auch an dessen Kehrseite erkennbar. So wird Kriegsdienstverweigerung häufig mit „unmännlichen“ Attributen, wie Feigheit, Inkonsequenz oder Schwäche dargestellt. Ebenso waren und sind sexualisierte Gewalt und Krieg immer miteinander verbunden. Kein Krieg findet ohne systematische Übergriffe und Vergewaltigungen statt. Und nicht erst seit den Folterungen von Abu Ghraib kommt es zu sexualisierter Gewalt gegen Gefangene als Mittel zur Erniedrigung und Unterwerfung.
Normative Vorstellungen von Männlichkeit sind nichts Statisches. Sie stehen innerhalb diskursiver Felder und sind stetigen internen – mal kleineren, mal größeren – Wandlungen unterworfen. Es gibt verschiedene Vorstellungen dessen, was als „männlich“ gelten darf, die teilweise auch in Konkurrenz zueinander stehen. So sind die stetig abnehmenden Zahlen derer, die sich bei der Bundeswehr verpflichten, sicherlich kein Indiz dafür, dass die hiesigen Verhältnisse weniger patriarchal geworden sind. Krieg wurde und wird auch nicht ausschließlich von „Heteromännern“ geführt (siehe dazu Fußnote 1) und Frauen dürfen jetzt auch den „Dienst an der Waffe“ tun. Dennoch sind die zugrunde liegenden Prinzipien und Machtstrukturen trotz verschiedener Wandlungen immer noch männlich-patriarchal.
Antimilitaristische Praxis muss gegen die konkreten Ziele, Institutionen und Organisationen ebenso vorgehen wie gegen deren elementare Prinzipien wie eben Männlichkeit und das mit dem Blick auf Transformation, Wechselwirkungen und Widersprüche.
Antifa feat. Gesellschaftskritik
Als emanzipatorische Linke gehen wir gegen Nazis vor, weil sie, neben der realen Gefahr die von ihnen ausgeht, so ziemlich all unseren Vorstellungen eines schönen Lebens diametral entgegenstehen. Unsere Ablehnung macht sich nicht daran fest, dass Nazis eine Abweichung des bürgerlich-demokratischen Mainstreams seien oder damit dem „Standort Deutschland“ schaden. Nazis entstammen diesen gesellschaftlichen Verhältnissen, mit denen wir als Linke tagtäglich im Konflikt stehen. Sie sind nicht davon losgelöst.
Nun leben wir momentan definitiv nicht in faschistischen Zuständen, doch Ideologien wie Rassismus, Antisemitismus oder Heteronormativität durchziehen und bestimmen auch diese Gesellschaft ebenso wie die kapitalistische Verwertungslogik Menschen weltweit von ökonomischer und gesellschaftlicher Teilhabe ausschließt. Deutschland schiebt ab und führt Krieg, antisemitische Stereotype sind weit verbreitet, in Folge der Sarrazin-Debatte formiert sich gerade ein Diskurs mit übelst rassistischer Hetze und nicht nur bei Aufmärschen von christlichen Fundamentalist_innen finden sich sexistische Gesellschaftsbilder. Nazis müssen Vorstellungen sozialer und politischer Ungleichheit nicht neu erfinden, diese sind für kapitalistische Gesellschaften konstitutiv. Sie knüpfen an gesamtgesellschaftliche Diskurse an und radikalisieren diese. Somit wird Antifaschismus erst mit diesem Blick aufs Ganze konsequent und weit mehr als Symptombekämpfung.
In diesem Sinne:
Kommt alle am 13. November nach München zur antifaschistischen, linksradikalen Demonstration.
Gegen Naziaufmarsch, Militär und kapitalistischen Normalbetrieb!
Für eine befreite
Gesellschaft!
Antifa-Demo: 10:30 Platz der Opfer des Nationalsozialismus
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¹ Um symbolisch Raum zu lassen für Menschen, die sich in der zweiseitigen Geschlechterkonstruktion in „Männer“ und „Frauen“ nicht wiederfinden, verwenden wir durchgängig die Schreibweise mit Unterstrich. Wir schreiben hier bewusst „Soldat_innen“, weil es in Wehrmacht, SS und sonstigen Militäreinheiten auch Frauen gab – freilich zumeist in niedrigeren Dienstgraden. Sie waren nicht nur in der zivilen Unterstützung oder als Arbeiterinnen in der Waffenproduktion und -lieferung tätig, sondern auch als Teil der uniformierten, kämpfenden Truppen aktiv, zum Beispiel als KZ-Aufseherinnen.
² Diese in Anführungszeichen stehenden Begriffe beschreiben keine realen Personen. Daher benutzen wir hier auch keine gegenderte Sprache.