Unite Against Racism!

Für Samstag, den 11. Juli ist um 17 Uhr eine Black Lives Matter-Versammlung auf der Theresienwiese geplant. Zwei Jahre nach Ende des NSU-Prozesses wird es dabei auch um den NSU-Komplex und die gesellschaftlichen Bedingungen, die ihn möglich machten, gehen.

Von München nach Minneapolis.

  
Ende Mai geht ein Smartphone-Video um die Welt. Ein Video in dem der 46-jährige George Floyd unter den Knien eines weißen Cops erstickt. Acht Minuten und 46 Sekunden in denen Floyd 16 mal verzweifelt darauf hinweist, dass er keine Luft bekommt. „I can’t breathe“: Ein Ausruf der bereits 2014 zum beklemmenden Symbol gegen rassistische Polizeigewalt wurde, nachdem Eric Garner in New York City bei einer gewaltsamen Festnahme starb – kurz vor den tödlichen Schüssen auf Michael Brown in Ferguson. Der Tod Floyds steht in einer – furchtbar im Wortsinne – langen Reihe rassistischer Morde durch die Cops, er stellt auch nicht ihr vorläufiges Ende dar, wie sich unter anderem in Atlanta gezeigt hat. Was den Fall Floyds hervorhebt, ist dass der gefilmte Erstickungstod Proteste auslöste, die sich über die gesamten USA ausgebreitet haben und weltweit große Resonanz finden. Während Nationalgarde und getweetete Gewaltaufrufe in Stellung gegen die Black Lives Matter-Bewegung gebracht werden, gehen die Massenproteste weiter, es wächst eine breite Selbstorganisierung gegen den Rassismus.
Auch in Deutschland gingen in allen größeren Städten viele zehntausend Menschen auf die Straße und verdrängten die konformistische Revolte der „Corona-Rebellen“ aus den Schlagzeilen. Wer sich am 6. Juni auf dem Königsplatz oder in den umliegenden Straßen bewegt hat, weiß dass die offizielle Zahl von 25.000 wahrscheinlich deutlich zu niedrig angesetzt war. Auf den Demonstrationen wurden nicht alleine die Ereignisse in den USA in den Fokus gerückt, es ging ebenso um rassistische (Polizei-)Gewalt in Deutschland, um die Erfahrungen die Menschen hierzulande mit institutionellem und ganz alltäglichen Rassismus machen. Die Proteste wurden im wesentlichen von BPoC (Black and People of Color), also Menschen, die in besonderem Maße von rassistischer Ausgrenzung, Abwertung und Gewalt bedroht sind, auf die Beine gestellt. Eine Selbstorganisierung und -verteidigung gegen rassistische Angriffe die keineswegs neu ist, die sich sich aber entlang der BLM-Proteste verbreitert und kennenlernt, Kontakte knüpft und Erfahrungen sammelt.

Kein Schlussstrich nach dem NSU-Prozess – Gemeinsam gegen rechte Gewalt und Rassismus. 

Am 11. Juli, wenn in München gegen Rassismus demonstriert wird, jährt sich das Ende des NSU-Prozesses zum zweiten mal. Nach fünf Jahren ging in München unter dem Applaus von Nazis auf der Zuschauertribüne ein Prozess zu Ende, der am Ende mehr Fragen als Antworten hinterließ. Auf der anschließenden antifaschistischen Demonstration liefen Betroffene und Hinterbliebene des NSU-Terrors in den ersten Reihen. Was wie eine Selbstverständlichkeit erscheinen mag, ist eben dies nicht. Mit der Forderung “Kein 10. Opfer!” waren 2006 Angehörige von Halit Yozgat, Enver Şimşek, Mehmet Kubaşık in Kassel auf die Straße gegangen, in Dortmund gab es einen weiteren Schweigemarsch, organisiert unter Anderem von der Familie Kubaşık. Außerhalb migrantischer Communities stellte sich kaum jemand der rassistischen Stigmatisierung durch die Ermittlungsbehörden entgegen, die ein rechtes Tatmotiv nicht sehen wollten und ihre Ermittlungen stattdessen gegen Angehörige und ihr Umfeld richteten. Als nach dem Nagelbombenanschlag in der Kölner Keupstraße in erster Linie gegen die teilweise schwer verletzten und geschädigten Opfer ermittelt wurde, bezeichneten Betroffene das als einen „Anschlag nach dem Anschlag“. In der Initiative Keupstraße organisierten sich Anwohner*innen mit der Forderung nach einer schonungslosen Aufklärung und gegen die rassistische Stigmatisierung. 
Eine der Lehren, die die antifaschistische Bewegung aus den Taten des NSU und deren medialer und politischer Verhandlung immer wieder eingefordert hat, war es migrantischen Perspektiven mehr Gehör zu schenken, sich an die Seite der Betroffenen zu stellen, Solidarität mit denen zu zeigen, die sich der für sie vorgesehenen Opferrolle verweigern und staatlichen Organen und gewalttätigen Rechten selbstorganisiert und selbstbewusst entgegentreten. Migrantifa in die Offensive!

Support your worldwide Antifa

Während in Stuttgart ein demoliertes Polizei-Auto fürs Fotoshooting mit Innenhorst Seehofer in die Innenstadt geschleppt wird, haut Alice Weidel „Antifa und ‚Migrantifa‘ außer Kontrolle, Polizisten verletzt!“ in die Tasten. Unterdessen wird Trump nicht müde zu betonen, die BLM-Proteste würden durch die Antifa initiiert. Trumps Antifa-Nebelkerze dient offensichtlich als Ablenkungsmanöver von strukturellem und alltäglichen Rassismus, als Legitimation staatlicher Repression und als Ermunterung der fanatischsten Teile seiner Fanbase, die im IS-Stil ihre SUVs in Menschenmassen lenken. Dieses Manöver ist aber auch aus einem weiteren Grund interessant. Antifa stellt seit geraumer Zeit eines der Lieblingsfeindbilder Trumps dar. Wie sich die in den USA bislang recht kleine Antifa-Bewegung von der Antifa in Europa inspirieren lässt, so ist im Zuge von Trumps Präsidentschaft mit der Anti-Antifa-Rhetorik auch einer der Schwerpunkte insbesondere der deutschen Rechten über den Atlantik geschwappt. Von Neonazis über die AfD zu Springerpresse und Konsorten greifen deutsche Rechte wiederum eifrig die Stichworte der Regierung Trump auf, etwa als die AfD im Juni einen Antrag in den Bundestag einbrachte, die Antifa zu verbieten. Der internationalen Zusammenarbeit der sich gegenseitig befeuernden rechten Bewegungen, müssen wir eine antifaschistische und antirassistische Solidarität entgegensetzen, die über Grenzen hinaus geht.

Im Handgemenge: Fünf Finger sind eine Faust

Durch die globale Perspektive der Black Lives Matter Bewegung und weiterer antirassistischer Proteste gegen Polizeigewalt tut sich ein Zeitfenster auf, in dem eine radikale Kritik an den Verhältnissen Gehör finden kann. Rassismus, auch in seiner strukturellen Form, wird gerade auf breiter Ebene verhandelt. Auch Fragen von kolonialem Erbe bzw. der postkolonialen Verfasstheit werden weit über die USA hinaus debattiert. Dadurch werden auch klassische Antifa-Themen zur Zeit – zumindest im gewissen Rahmen – gesellschaftlich diskutierbar. Verhalten optimistisch formuliert, könnte das bedeuten, dass Diskurse potentiell verschoben werden könnten, es nicht zumindest zu probieren wäre ein Fehler. Gleichzeitig gehen angesichts der stürzenden Denkmäler die reaktionären, rechten und rassistischen Kräfte in die Offensive. Nicht zuletzt angesichts der kommenden ökonomischen und politischen Krisen, ist die Füße still zu halten also keine Option. Dafür braucht es Verbündete: Für Selbstorganisierung und eine gemeinsame, solidarische Perspektive!