Gegen die kapitalistische Normalität und ihren Ausnahmezustand. Gegen die Pandemie, ihre staatliche Verwaltung und ihre Leugner_innen.
Nach über einem Jahr hat uns die Pandemie, als ein Ereignis von historischer Dimension, weiterhin fest im Griff. Die weltumspannende Virusseuche wirkt wie ein Brennglas auf die bestehenden Widersprüche innerhalb des Kapitalismus und trägt massiv zu einer Verschärfung sozialer Ungleichheit bei. Grund genug für uns, am 1. Mai in revolutionärer Absicht auf die Straße zu gehen. Doch Corona bringt noch weitere Ekelhaftigkeiten mit sich, die uns dazu nötigen, an diesem Tag in München aktiv zu werden: Eine bundesweite Großmobilisierung der Leugner_innen und -Verharmloser_innen der Pandemie droht an diesem Tag die Stadt in Beschlag zu nehmen. Als wäre die Pandemie mit ihren ganzen Folgen nicht schon beschissen genug – diesen Fans der Freiheit zur Rücksichtslosigkeit werden wir nicht die Straße überlassen! Die rechte Bewegung von „Querdenken“, „Corona-Rebellen“ und Co. steht gegen so ziemlich alles, für das es uns als radikale Linke wichtig ist zu kämpfen.
Gegen den autoritären Seuchenstaat
Seit Beginn der Pandemie erleben wir, wie die verantwortliche Politik den Schutz der Wirtschaft, Pandemiebekämpfung und Menschenleben gegeneinander aufrechnet. Der Staat glänzt mit autoritären Ersatzhandlungen, die Stärke und Handlungsmacht demonstrieren sollen. Ausgangssperren, Kontaktbeschränkungen und die Einschränkung von Kultur- und Freizeitaktivitäten werden mittels Anordnung verhängt, bei Abweichung drohen hohe Geldstrafen, die vor allem für ärmere Leute zum Problem werden. Die moralisch eindringlich vorgetragenen Appelle, möglichst zu Hause zu bleiben, um die Infektionszahlen niedrig zu halten, sind nicht nur für Geflüchtete in Sammelunterkünften oder Wohnungslose mehr als zynisch. Sie werden auch durch den Zwang zur Lohnarbeit, der in der Regel mit überfüllten Bahnfahrten, Großraumbüros oder Betrieben verbunden ist, zur Farce.
Um diese Maßnahmen zu rechtfertigen, wird auf Ausnahmezustand und Krise verwiesen, Befugnisse für die Exekutive werden ausgeweitet und demokratische Entscheidungsprozesse umgangen oder ausgehebelt. Das Beschwören der Krise als Modus des Regierens, das bereits in der Vergangenheit jeder noch so großen Schweinerei, seien es Gesetzesverschärfungen oder der Ausweitung polizeilicher Befugnisse, Legitimität verschaffen konnte, wird dabei immer mehr zu Normalität. Der Verweis auf den Ausnahmezustand lässt kaum eine gleichberechtigte und rationale Debatte über einen angemessenen Umgang mit der Pandemie zu. Stattdessen werden vermeintliche Handlungszwänge produziert, die moralisch aufgeladen sind und keine alternative Option zulassen.
Autoritäre Moves wie Grenzschließungen oder Ausgangssperren werden lauthals verkündet und sind in der effektiven Bekämpfung der Seuche meist wirkungslos. Die Willkürlichkeit der Maßnahmen, die Austauschbarkeit der Berechnungsmaßstäbe und ihrer Auswirkungen sind keine Folge einer „schlechten Regierung“, die ihre Aufgabe der Sicherung der Lebensgrundlagen der Allgemeinheit nicht genügend erfülle. Der bürgerliche Staat, dessen Existenz sich vor allem der Sicherung der Grundlagen für menschliche Ausbeutung und Naturvernutzung verdankt, hatte den Schutz von Menschenleben stets als nachgeordnete Aufgabe zu erfüllen.
So lassen sich viele staatlichen Handlungen in der Pandemie nur als herrschaftliche Inszenierung von Handlungsmacht und Durchsetzungsfähigkeit interpretieren, die die politisch Verantwortlichen allerdings gegenüber wesentlichen gesellschaftlichen Bereichen nicht implementieren. Aus primär ökonomischem Kalkül wird verhindert, dass effektive Maßnahmen zum Schutz von Menschenleben ergriffen werden. Das betrifft insbesondere all diejenigen Sphären, in denen die Verwertungsprozesse des Kapitals empfindlich getroffen würden. So zynisch es ist: innerhalb der neoliberalen Ordnung eines schlanken (wenn es um Sozialpolitik oder andere tendenziell solidarische Maßnahmen geht) und zugleich starken (wenn es um polizeiliche, juristische oder militärische Belange geht) Staates ist das wenig verwunderlich. Genau so passt es in das Schema neoliberaler Hegemonie, die von sozialen Strukturen nichts wissen will und sich stattdessen an ein vereinzeltes Individuum richtet, sich ethisch richtig zu verhalten, dass die jüngsten Maßnahmenkataloge von Bund und Ländern nahezu ausschließlich auf das Private zielen. Den allgemeinen Interessen des Kapitals soll gerecht und die Wirtschaft möglichst wenig belastet werden. Falls ökonomische Interessen dann doch einmal angetastet werden und es sich dabei nicht nur um gefühlt abgeschriebene Gebiete wie Gastronomie oder den Kulturbereich handelt, wird allenfalls an Freiwilligkeit und humane Einsicht appelliert. Die systemische Irrationalität des Kapitalismus wird in der Krise umso deutlicher: Lieber wird täglich eine Vielzahl an Toten und Kranken in Kauf genommen, damit der Wirtschaftsstandort nicht leidet, als die Unterbrechung des kapitalistischen Normalbetriebes auch nur in Betracht zu ziehen.
Corona-Pegida: patchworkrechte Krisenbewältigung
Waren die ersten Wochen unter Pandemiebedingungen in Deutschland noch geprägt von solidarischen Initiativen einerseits und einem Krisennationalismus à la „Wir schaffen das!“ andererseits, sehen die Dinge längst anders aus. Die solidarischen Initiativen sind eingeschlafen, das nationale „Wir“ von ständig sich ändernden Regeln und gecancelten Volksfesten ermüdet und verärgert. Die reaktionäre Sammelbewegung der selbst ernannten „Corona-Rebellen“, „Querdenken“ und Hildmannfans hat sich zu einer veritablen und anhaltenden sozialen Bewegung von Rechts, zu einer Art Corona-Pegida, entwickelt. Die Massenmobilisierungen, die seit Monaten teilweise Zehntausende mobilisieren können, sind keine völlige Neuentwicklung. Stattdessen sind sie eine Neukonfiguration bereits existenter rechter Patchworkprojekte wie der sexistischen, homo- und transphoben „Demo für Alle“, dem verschwörungsideologischen Versuch einer Querfront wie der Montagsmahnwachen, oder Hogesa und Pegida. Die „Coronarebellen“ greifen auf bewährte Bündniskonzepte und etablierte rechte Medien- und Organisationskanäle zurück, um eine groteske Mischung aus antisemitischen Verschwörungsfans, Libertären, Impfgegner_innen, AFDler_innen und bekannten Nazis zusammen mit Trommel- und Tanzbizarros aus den Rändern der Alternativbewegung zusammenzuführen.
Dem Hauen und Stechen der kapitalistischen Konkurrenz in Zeiten des Virus hat die rechte Bewegung dabei nichts entgegenzusetzen als seine Steigerung: Wer nicht mithalten kann, wer schwach oder krank ist, darf schauen wo sie_er bleibt. „Querdenken“ und Co. formulieren keinerlei solidarische Alternativposition zum Bestehenden. Stattdessen ist die Forderung eines Zurück-zum-Normalzustand und einer Beendigung eines jeglichen auch wirtschaftlichen Hindernisses durch die Pandemie wie den kühnsten Träumen des Kapitals entsprungen. Die konformistische Revolte der Rechten bedient dabei die unterschiedlichen Krisenerfahrungen des postfordistischen Kapitalismus – das Gefühl wachsender Unsicherheit, das Wissen um die eigene Ersetzbarkeit, die Ohnmacht gegenüber sozialen Entwicklungen, die als Schicksal – oder eben Verschwörung – erfahren werden.
Dem Staat und seinen Verantwortlichen sind die Schwurbelproteste nur in gewissem Maße ein Dorn im Auge. Zwar werden Verstöße gegen Versammlungsverordnungen oder Abstandsregeln ungern gesehen, wirklich dagegen vorgegangen wird in Regel nicht, obwohl es für den hochgerüsteten Polizeiapparat ein Leichtes wäre. Allzu oft können wir feststellen – und das nicht nur in München – dass sich polizeiliches Handeln primär gegen den Gegenprotest richtet und nicht etwa gegen Leute, die mit Ansage auf sämtliche sinnvolle Hygienekonzepte scheißen, von Bühnen herunter zweifelhafte Atteste gegen das Maskentragen verteilen, oder offen antisemitische Schilder, Parolen oder Redebeiträge lancieren. Für uns als Antifas ist es nichts Neues, dass wir uns im Kampf gegen Rechts nicht auf den Staat verlassen können. Doch die Samthandschuhbehandlung von Corona-Pegida muss als Unterstützungshandeln durch den Staat betrachtet werden, denn es verschafft den Rechten ein Erbauungserlebnis nach dem nächsten. Der staatliche Tätschelkurs trägt dazu bei, dass sich die Teilnahmezahlen auf einem konstant hohen Niveau halten und sich die Bewegung konsolidieren konnte. Die naiven Hoffnungen auch einiger Linker, diese rechte Massenbewegung liefe sich irgendwann von selbst tot und ließe sich somit durch gepflegtes Nichtstun ignorieren, wurden leider Lügen gestraft. Die zunehmenden Angriffe auf Journalist_innen und die ersten Anschläge auf Impfzentren sind ein erster Vorgeschmack auf das rechte Gewaltpotential das dort heranwächst und welches uns noch Jahre beschäftigen dürfte. Umso wichtiger ist es, diesem Treiben jetzt entschlossen entgegen zu treten.
Pharmakonzerne enteignen – Impfstoff für alle!
Die Hoffnung einer Beendigung der Pandemie lag von Anfang an vor allem auf der möglichst schnellen Entwicklung eines Impfstoffes. Statt auf eine Strategie der Eliminierung des Virus (zero covid statt flatten the curve) zu setzen, wurde in einem widerprüchlichen Maßnahmenmix herumgemacht und somit faktisch tausende Leben geopfert, um den Laden hier am Laufen zu halten.
Seit Monaten gibt es nun mehrere Impfstoffe – Patente und die Mechanismen des Marktes aber verhindern, dass auch alle davon profitieren können. Die Handhabung der Corona-Impfstoffe ist ein Paradebeispiel dafür, was es bedeutet, in einer Gesellschaft zu leben, in der der Tauschwert über den Gebrauchswert obsiegt, in der die Möglichkeit, Profit zu erwirtschaften weit über dem Retten von Leben und dem Vermindern von Leid steht. Der globale Run auf die begehrte Ware Impfstoff führt indes dazu, dass globale Machtunterschiede weiter zementiert werden. Während einige der reichsten Industrienationen mittlerweile passable Impfquoten haben oder wie in vielen Ländern Europas zumindest einige Prozente ihrer Bevölkerung impfen konnten, gibt es in etlichen Ländern des globalen Südens nicht mal erschwingliche Tests für die breite Bevölkerung, geschweige denn eine realistische Hoffnung auf Zugang zu Vakzinen in absehbarer Zukunft. Der Markt regelt (nicht) und so werden weiterhin viele Menschen erkranken und sterben so wie zukünftige Mutationen dieses Virus ein tödliches Comeback feiern.
Viele der Toten wären vermeidbar gewesen und vieles dessen, was noch an Abfuck auf uns zu kommen wird, ist es auch. Ein Gesundheitssystem, das nicht marktförmig organisiert wäre, das nicht dazu gezwungen wäre, mit Patient_innen und deren Gesundheit Profit zu erzielen, wäre nicht nur in der Lage, auf Menschen und deren gesundheitliche Probleme einzugehen. Es würde auch den dort arbeitenden Angestellten ermöglichen, sich nicht sinnlos kaputt zu malochen. In Wohnungen, die keine Ware sondern Allgemeingut wären, müssten die darin lebenden Menschen nicht um eine Zwangsräumung in Mitten einer scheiß Pandemie bangen. In Städten, die nicht nach den Vorstellungen und Interessen des Kapitals gestaltet und organisiert würden, müssten wir in einer Situation wie dieser nicht einsam und sozial isoliert sein, sondern könnten unseren Alltag solidarisch gestalten. Eine Wirtschaft, die nicht auf Konkurrenz und dem Zwang zu ständigem Wachstum basiert, könnte gegebenenfalls runtergefahren werden und sich auf die wirklich relevanten Bereiche fokussieren. Es bräuchte nicht das unerträgliche Hin und Her, nicht den Spagat, die Interessen des Kapitals zu wahren und gleichzeitig Teile der Bevölkerung sterben zu lassen.
Der aktuelle Weg ist nicht alternativlos. So wie es ist, bleibt es nicht – auch wenn wir das nicht von heute auf morgen realisieren können. Die Pandemie bringt das System nicht ins Wanken. Dazu gälte es sich kollektiv gegen die Zumutungen der bestehenden Verhältnisse zu wehren. Es liegt also an uns. Dafür müssen wir uns auch darum kümmern, unsere Strukturen am Leben zu halten. Auch Einzelne dürfen dabei nicht unter die Räder kommen, wir müssen aufeinander achten und solidarisch sein. Und vor allem: Wir müssen raus aus der Versenkung!
Kommt deshalb am 1. Mai mit uns auf die Straße – gegen autoritären Seuchenstaat, Kapitalismus und Corona-Pegida!
Revolutionäre 1. Mai Demo, 13 Uhr Rindermarkt