Brecht das Schweigen!

Der Anschlag am OEZ, rechter Terror und vernetzte Einzeltäter.

#OEZwarRechterTerror

Am 22.7.2016 wurden Armela, Can, Dijamant, Guiliano, Hüseyin, Roberto, Sabine, Selçuk und Sevda aus rassistischen Motiven ermordet. Die Morde am Olympia Einkaufszentrum waren einer der größten rechten Anschläge in der Geschichte der Bundesrepublik. In vielen Aufzählungen rechten Terrors kommt der 22.7.2016 dennoch nicht vor. Das hat Gründe: Durch die jahrelang wiederholten Behauptungen, es habe sich um einen Amoklauf gehandelt und die Auswahl der Opfer sei mehr oder weniger zufällig passiert, wurde Vielen die rechtsterroristische Dimension der Tat nicht bekannt. An dieser Deutung hält zwar mittlerweile nicht einmal mehr das Bayerische Landeskriminalamt fest, trotzdem hat sie sich im öffentlichen Bewusstsein festgesetzt. Dabei hatten nicht nur verschiedene Gutachten und (Medien-)Recherchen darauf verwiesen. Nicht einmal der Täter selbst hatte aus seinem rassistischen Gedankengut  einen Hehl gemacht: Angefangen beim Tatzeitpunkt – dem fünften Jahrestag der Anschläge in Oslo und Utoya, denen im Jahr 2011 77 Menschen zum Opfer fielen, darunter viele Jugendliche – über wiederholte Bezugnahmen auf den historischen Nationalsozialismus, zu einem von rassistischen Vernichtungsfantasien strotzenden Manifest, das wohl gezielt so platziert wurde, dass Ermittlungsbehörden darauf stoßen sollten. Allein die ganz offensichtlich gezielte Auswahl der Opfer spricht eigentlich eine deutliche Sprache, sofern natürlich die Bereitschaft besteht, hinzuhören. Über Jahre sperrten sich die Behörden dagegen, die rechten und rassistischen Hintergründe der Tat zu benennen. Dass sich daran etwas änderte, musste von Hinterbliebenen und Unterstützenden mühsam erkämpft werden.

#SoVieleEinzeltäter!

Wenn in Deutschland über rechten Terror gesprochen wird, etwa weil gerade wieder Menschen sterben mussten, hören wir immer wieder die gleichen Geschichten: Entlastungserzählungen von Einzelfällen und Einzeltätern mit ganz individuellen Tatmotivationen. Die Taten, allesamt Teil einer langen Geschichte des rechten Terrors in diesem Land, werden so entpolitisiert und relativiert.
Dahinter stehende Netzwerke bleiben unangetastet, das fortwährende Kleinreden und Unterschätzen trägt seinen Teil dazu bei, dass die Taten immer wieder möglich werden.

Seit Jahren kursieren in extrem rechten Kreisen Schriften zu „führerlosem Widerstand“ und Konzepte in denen „Einsame Wölfe“ als „Ein-Personen-Zelle“ zur Tat schreiten sollen, ohne dabei Teil einer größeren terroristisch agierenden festen Gruppierung sein zu müssen.

Halle, Hanau, München: Anschläge wie diese verbinden wir mit einzeln auftretenden Tätern. Doch haben wir es wirklich mit Einzeltätern zu tun? Zwar agieren diese Täter ohne Anbindung an klassische Neonazi-Gruppen oder Szenen, isoliert sind sie jedoch nicht. Sie sind virtuell vernetzt und das über die ganze Welt. Austausch und Vernetzung finden in verschiedenen Onlinecommunities statt. Dort werden rechte Positionen verbreitet, Manifeste in Umlauf gebracht und Taten angekündigt. Immer wieder wird auf vorherige Anschläge Bezug genommen. Ein Ausdruck dieser Art von Vernetzung über Spiele-Plattformen, Foren und Imageboards wie 8chan ist die Verschmelzung von Memekultur und physischer Gewalt, von gezielten virtuellen Attacken durch Trollen und Doxing bis zum live gestreamten Morden, wie etwa in Christchurch und Halle. Die Ästhetik dieser von „Ironie“ charakterisierten Kultur ist von einer menschenverachtenden Steigerungslogik geprägt, die mit scheinbar harmlosen popkulturellen Referenzen die Hürde für die Lust an Mord und Vernichtung stetig nach unten verschiebt. Menschenverachtung, Rassismus, Antisemitismus und Frauenhass gehören zu den ganz normalen Inhalten der mit diffusen Chiffren durchzogenen Szene. Die Grenzen zwischen Zeitvertreib und gezieltem Zerstörungswerk, der Lust an Erniedrigung und dem Wunsch nach dem physischen Vernichten der Feindbilder verwischen dabei auf eine schwer zu fassende Art und Weise.

Auch der OEZ-Attentäter vernetzte sich in virtuellen Räumen. In einem „Anti-Refugee Club“ auf der Gamingplattform „Steam“ tauschte er mit anderen Rechten rassistische Botschaften, Gewaltfantasien und Informationen über die Beschaffung von Waffen aus. Einer der Gründer der Gruppe, ein US-amerikanischer Neonazi, tötete 2017 in einer High School zwei Schüler aus rassistischen Motiven, vor einer möglichen Bluttat eines weiteren Mitglieds aus dem süddeutschen Raum wurde dessen Elternhaus durchsucht, wobei Material und Anleitungen für den Bau von Sprengstoff gefunden wurden. So wie sich der Täter vom OEZ auf Utøya und Oslo bezog, der Täter von Halle auf Christchurch und der von Buffalo auf Halle, so wird sich auch in den verbreiteten politischen Botschaften, Manifesten und Begriffen aufeinander bezogen. Neben verschiedenen verbreiteten Verschwörungsmythen wirkt hier am prominentesten wohl immer noch die Erzählung vom „großen Austausch“. „The Great Replacement“ nannte sich nicht nur das Manifest des Täters von Christchurch, populär machten das Konzept spätestens die „Identitären“. Unter Schlagworten wie „Umvolkung“ oder „Volkstod“ zieht sich die dahinter steckende Vorstellung einmal quer durch das gesamte extrem rechte Spektrum. Dabei verbindet das Narrativ zentrale Elemente extrem rechter Ideologie: Der Feminismus sei an sinkenden Geburtenraten Schuld, deswegen wollen globalistische und kulturmarxistische Eliten Migrationsströme gezielt lenken, um aus Macht- und Profitinteressen heraus ausreichend Menschenmaterial ins Land zu schaffen. Antifeminismus bzw. Misogynie, Rassismus, Antisemitismus finden sich zum klassischen Dreiklang extrem rechter Ideologie zusammen. Die Erzählung vom „Großen Austausch“ funktioniert hierbei nicht nur als Legitimation von rechten Taten – sie markiert auch den Feind und erzeugt gleichzeitig einen immensen Handlungsdruck: Es geht um das Existentielle, um einen letzten Abwehrkampf um das eigene Volk, um eine kollektive Notwehrsituation. Es geht um vermeintlich Alles – und damit ist alles erlaubt.

Ihren Ursprung haben derlei Ideen nicht unbedingt in den virtuellen Räumen. Stichwortgeber ist weiterhin regelmäßig die ganz klassische extreme Rechte im Real Life. Es gibt Neonazi-Netzwerke, die seit Jahren von antifaschistischen Recherchekollektiven durchleuchtet werden, sowie Politiker*innen und Politikinfluencer, die in der Öffentlichkeit rechte Hetze verbreiten und deren Reichweite nicht auf bestimmte Onlineformate begrenzt ist. Diese Netzwerke sind weiterhin konkret (an)greifbar: Parteistrukturen, Räume und Infrastruktur. Dabei findet die Hetze nicht nur in den Echoblasen scheinbar „Ewiggestriger“ statt – rassistische Diskurse haben schon längst die Grenzen des Sagbaren stetig nach rechts verschoben und finden nicht zufälligerweise Anschluss an gesellschaftlich weit verbreitete Ressentiments.

#FightBack

Das zeigt auch, dass eine gesellschaftliche Reaktion, die allein auf den digitalen Raum zielt, viel zu kurz greift. Auch wenn es vor dem Hintergrund der oben erwähnten diffusen digitalen Milieus schwer ist, Taten vorherzusehen, würde auch ein Durchpolicing mit Upload-Filtern, Klarnamenpflicht oder Verschlüsselungs-Backdoors den gesellschaftlichen und ideologischen Kern des Problems nicht greifen können.

Dafür müssen endlich die gesellschaftlichen Ermöglichungsbedingungen in den Blick genommen werden: Rassismus, Antisemitismus, Antifeminismus und andere menschenverachtende Einstellungsmuster, die stetig weiter normalisiert werden und das schon immer vorhandene gesellschaftliche Potential darstellen, das gerade im letzten Jahrzehnt zunehmend erfolgreich von der extremen Rechten mobilisiert werden konnte. Eine Antwort muss dementsprechend eine antifaschistische sein, die den gesamtgesellschaftlichen Rassismus benennt und über extrem rechte Ideologien und Strategien, aber vor allem über die Konsequenzen extrem rechter Politiken aufklärt. Das bedeutet nicht zuletzt, eine Perspektive einzunehmen, die sich mit den Betroffenen rechter Gewalt solidarisiert und ihre Stimmen, ihr Wissen und ihre Erfahrungen ernstnimmt. Es müssen endlich Räume dafür geschaffen werden, in denen Betroffene sich austauschen und vernetzen können. Diese Räume sind die Möglichkeit für Entlastung und Ermächtigung zugleich: Entlastung weil Betroffene über die Vernetzung sehen, dass sie nicht alleine sind, Ermächtigung, weil darüber ein kollektives Handeln erst ermöglicht wird.

Die Geschichte des rechten Terrors in Deutschland ist geprägt vom Verdrängen und Kleinreden, von Entpolitisierung und Einzeltäterthese. Von einer ausbleibenden gesellschaftlichen Solidarisierung mit Betroffenen, Überlebenden und Hinterbliebenen. Von Ermittlungen gegen das Umfeld der Opfer und einer empathielosen Berichterstattung, die den Perspektiven der Betroffenen keinen Platz einräumt. Diese Umstände sind die Voraussetzung dafür, dass es wieder und wieder geschehen kann.

In München kämpfen Hinterbliebene dafür, dass der rechte Anschlag am OEZ nicht in Vergessenheit gerät, dass der Hintergrund der Tat bekannt wird und dass an die Namen Armela, Can, Dijamant, Guiliano, Hüseyin, Roberto, Sabina, Selçuk und Sevdas erinnert wird. Gegen das jahrelange Stillschweigen versuchen Betroffene und ihre Unterstützenden, die Öffentlichkeit wachzurütteln und der Normalität des rechten Terrors endlich ein Ende zu setzen.

Es braucht einen kollektiven Kontrapunkt damit Staat, Justiz und Gesellschaft nicht weiterhin einfach wegsehen können. Brecht das Schweigen!