Eine Zwischenbilanz zwei Jahre nach der Selbstenttarnung des NSU – ein halbes Jahr nach Prozessbeginn.
Es diskutieren: Juliane Karakayali, Sebastian Schneider und Andreas Speit
Vor über zwei Jahren enttarnte sich der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) selbst. Wenige Tage nach dem Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt tauchten deutschlandweit Videos auf, in den sich der NSU zur rassistischen Mordserie, einem Sprengstoffanschlag in Köln und dem Mord an einer Polizistin bekannte. Beate Zschäpe, die mit Mundlos und Böhnhardt den innersten Kern des NSU gebildet hatte, stellte sich der Polizei.
Plötzlich wurde bekannt, was fast niemand für möglich gehalten hatte. Nazis hatten viele Jahre aus dem Untergrund heraus gemordet, Sprengstoffanschläge verübt und Banken überfallen. Obwohl die Neonaziszene bis ins nächste Umfeld des NSU von V-Leuten der Verfassungsschutzämter durchsetzt war, wollte der Geheimdienst nichts mitgekriegt haben. Anstatt an der Aufklärung mitzuwirken, schredderte man dort vor allem Akten. Durch die rassistische Ermittlungspraxis der Polizeibehörden, die vor allem Familien und Angehörige verdächtigte und die Opfer bezichtigte selbst in mafiöse Machenschaften verwickelt zu sein, wurde eine Aufklärung der Morde verhindert. Während die Boulevardmedien von „Dönermorden“ sprachen, begriffen auch die kritische Öffentlichkeit und die antifaschistische Linke die rassistischen Hintergründe nicht und das, obwohl Familien, Angehörige und migrantische Initiativen ein mögliches rassistisches Tatmotiv immer wieder thematisiert hatten.
Das ist nun über zwei Jahre her. Seitdem haben vier parlamentarische Untersuchungsausschüsse getagt und seit über einem haben Jahr läuft in München der Prozess gegen Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben, Holger Gerlach, Carsten Schultze und André Eminger. In München haben im Vorfeld des Prozessbeginns über 8 000 Menschen gegen Naziterror, Rassismus, den Verfassungsschutz und für die umfassende Aufklärung der Mordserie demonstriert. Bundesweit recherchieren kritische Journalist_innen und antifaschistische Initiativen über den NSU und sein Umfeld.
Doch noch immer ergibt sich ein fragmentarisches Bild. Die Veranstaltung stellt den Versuch dar, das Wissen aus den Untersuchungsausschüsse, dem Prozess und der gesellschaftlichen Debatte um den NSU zu ordnen. Was wissen wir über zwei Jahre nach der Selbstenttarnung? Welche Konsequenzen wurden gezogen und welche nicht? Welche Rolle spielt der Rassismus, der den Morden zugunde lag und ihre Aufklärung verhinderte, in Untersuchungsausschüssen und im Prozess. Welche Wirkungen hatten die gesellschaftlichen Debatten um Rassimus im Rahmen der NSU? Welche Konsequenzen hat die antifaschistische und antirassistische Öffentlichkeit gezogen und was steht noch aus?
Juliane Karakayali ist Professorin für Soziologie an der evangelischen Hochschule Berlin, Mitglied des Netzwerks Kritische Migrations- und Grenzregimeforschung und Teil eines Diskussions- und Aktionszusammenhanges zum NSU.
Andreas Speit arbeitet seit vielen Jahren als Autor und Journalist zur extremen Rechten. Für die TAZ berichtet er über den NSU-Prozess. Zuletzt hat der zusammen mit Andrea Röpke das Buch „Blut und Ehre: Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland“ herausgegeben.
Sebastian Schneider ist Mitglied der Initiative NSU-Watch. NSU-Watch beobachtet den NSU-Prozess, veröffentlicht umfassende Protokolle des Prozesses und Hintergrundinformation zum NSU auf Deutsch, Englisch und Türkisch.
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Hinweis:
Es gilt der folgende Einlassvorbehalt: „Die Veranstaltenden behalten sich vor, von ihrem Hausrecht Gebrauch zu machen und Personen, die extrem rechten Organisationen angehören, der extrem rechten Szene zuzuordnen sind oder bereits in der Vergangenheit durch rassistische, nationalistische, antisemitische oder sonstige menschenverachtenden Äußerungen in Erscheinung getreten sind, den Zuritt zur Veranstaltung zu verwehren oder von dieser auszuschließen.“