Der Feind steht links

Der Anschlag auf das Münchner Oktoberfest und der rechte Terror in der BRD

Am Freitagabend des mittleren Wiesnwochenendes, kurz vor Schankschluss in den Bierzelten, explodiert um 22:19 Uhr eine Bombe im Bereich des Haupteingangs des belebten Münchner Volksfests und tötet fünf Menschen sofort, weitere sieben erliegen ihren Verletzungen im Krankenhaus. Mindestens 213 Menschen werden mitunter schwer verletzt. Die Geschichte des Anschlags wie auch seiner politischen und gesellschaftlichen Aufarbeitung ist gezeichnet durch systematische Versuche der Entpolitisierung und des Kleinredens rechter Gefahr, aber auch durch langanhaltende Kämpfe von Antifaschist*innen, Betroffenen und kritischen Medienschaffenden, Verwicklungen aufzudecken und im Gedächtnis zu halten. Das dominante Muster, Nazis nicht als gesellschaftliches Problem, sondern als Ausrutscher, als nicht zu vermeidendes Aus-der-Reihe-Tanzen einiger Weniger zu verhandeln, kommt uns aus heutiger Perspektive nur allzu bekannt vor. Doch auch in der Zeit des Anschlags, in der Bundesrepublik der 70er und 80er Jahre, ist dieses Muster bereits fest verankert. Direkt am Abend des Anschlags tritt Franz Josef Strauß, Politschwergewicht und Kanzlerkandidat der Union bei den wenig später stattfindenden Bundestagswahlen, vor die Fernsehkameras und hetzt gegen Linke als vermeintliche Urheber*innen des Anschlags. Diese Episode ist bezeichnend für die damalige Stimmung: In den medialen und politischen Diskursen der BRD ist Terror einzig und allein ein Produkt von Linken. Die Erkenntnis, dass solche Anschläge Rechten nicht nur zuzutrauen, sondern als Konsequenz ihres Denkens auch zu erwarten wären, passt nicht in die Zeit. Die Ideologie des Antikommunismus wirkt in Zeiten des Kalten Krieges wie ein gesellschaftlicher Kitt bis in Teile der Sozialdemokratie und macht klar: Der Feind steht links.
Die systematische Verharmlosung rechten Terrors, das Wegschauen bei Verstrickungen in die rechte Szene bis hin zu ihrer kompletten Leugnung hat eine lange Vorgeschichte, die weit vor dem 26.9.1980 beginnt – und sich bis in die Gegenwart zieht. Während der Mordversuch an Rudi Dutschke 1968 durch den Nazi Josef Bachmann relativ prominent ist, werden auch hier Bachmanns Verstrickungen in rechte Netzwerke, u.a. in das Umfeld der NPD, verdrängt. Das populäre Verdikt lautet: Tat eines Einzeltäters.
Ein Großteil der rechtsterroristischen Gruppierungen der 1970er Jahre werden nicht als solche behandelt oder sind nahezu vergessen, wie die schwerbewaffnete „Kampfgruppe gegen den Kommunismus“ namens Europäische Befreiungsfront (EBF), deren Mitglieder sich aus radikalisierten Mitgliedern der NPD rekrutieren. Am 29. Mai 1970 wird sie von der Polizei vor der Umsetzung geplanter Anschläge auf Stromversorgungseinrichtungen gestoppt. Maßgeblich beeinflusst durch die EBF wiederum wird Ekkehard Weil; ein Nazi, der am 7.9.1970 einen Wachsoldaten am Sowjetischen Ehrenmal im Berliner Tiergarten mit einer Schusswaffe beinahe tötet. Zwar muss Weil für diese Tat einige Jahre ins Gefängnis, das hält ihn aber nicht davon ab, bis in die späten 1990er Jahre weiter aktiv zu sein und sich an weiteren terroristischen Handlungen zu beteiligen.
Allein im Jahr 1980 verüben die Deutschen Aktionsgruppen fünf Sprengstoffanschläge und zwei Brandanschläge verteilt über ganz Westdeutschland. Am 22. August 1980 töten sie in Hamburg bei einem Brandanschlag auf ein Lager für Geflüchtete die beiden jungen Vietnamesen Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân. Auch diese Gruppe und, viel wichtiger, die Namen und Geschichten ihrer Opfer sind heute nahezu unbekannt.
Bereits Mitte der 1970er Jahre kommt es zu einer regelrechten Bewegung, die paramilitärisch ausgerichtete rechte Gruppierungen, sogenannte Wehrsportgruppen, gründet. 1971 fliegt die Wehrsportgruppe Hengst in Bad Godesberg bei Bonn auf. Neben NS-Propaganda wird eine große Menge an Waffen gefunden. Der Gruppe werden Planungen für schwere Anschläge während der Karnevalszeit zur Last gelegt. Der Kopf der Gruppe, Bernd Hengst, hat bereits 1968 einen Anschlag auf ein Büro der DKP verübt.
Die bekannteste und mit mutmaßlich bis zu 400 Mitgliedern zahlenmäßig größte dieser Gruppen war die 1973 von Karl-Heinz Hoffmann gegründete Wehrsportgruppe Hoffmann (WSG), aus deren Umfeld sich der Attentäter des Oktoberfestanschlags rekrutiert. Die zynische Verharmlosung der international vernetzten Terrorgruppe spiegelt sich exemplarisch in der Aussage von Franz Josef Strauß, der anlässlich ihres Verbots im Januar 1980 durch Bundesinnenminister Baum einem Journalisten gegenüber die WSG als „Verrückte“ bezeichnet, die „Spaß daran ha[ben] […] im Kampfanzug mit Koppelschloss durchs Gelände zu spazieren“. Acht Monate später tötet Gundolf Köhler 12 Menschen, knapp drei Monate darauf tötet Uwe Behrendt, ebenfalls Mitglied der WSG, am 19.12.1980 in Erlangen mit Hoffmanns Waffe den jüdischen Verleger Shlomo Lewin und seine Freundin Frida Poeschke. Hoffmann wird hierfür niemals belangt. Diese Aufzählung bleibt zwangsläufig unvollständig und wirft nur einige Schlaglichter auf die rechtsterroristische Vorgeschichte des Oktoberfestattentats.
Was diese sehr unterschiedlichen Täterinnen-gruppen und ihre Taten allerdings eint, ist ihre relative Unbekanntheit auch unter Antifaschist*innen. Der Terror des 26.9.1980 hat eine Vor- und leider auch eine tödliche Nachgeschichte, die nicht erst im wiedervereinigungstrunkenen Deutschland der 1990er Jahre auflebt. Ein Erklärungsansatz dafür, dass rechte Terrorgruppierungen in dieser Zeit relativ ungestört agieren können, liegt sicherlich auch in ihrer politischen Programmatik der damaligen Zeit. Ziele ihrer mörderischen Aktionen in den 1970er Jahren sind nicht die (west-)deutsche Mehrheitsgesellschaft, sondern in allererster Linie Linke, Angehörige und Einrichtungen der Alliierten, sowie Orte und Institutionen, die sich kritisch mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen. Obwohl damals eine erhebliche Anzahl an Menschen durch Rechte verletzt oder getötet werden, die Sachschäden in die Millionen gehen und teilweise absurd große Mengen an Kriegswaffen und Sprengstoff gefunden werden, gibt es gegen Rechte keine auch nur im Ansatz vergleichbare Repressionswelle wie zu Zeiten der gegen Linke gerichteten Sympathisanten-Hatz, der Berufsverbote und §129er-Inhaftierungswellen. Dass die frühe BRD kein wirkliches Interesse daran hatte, gegen Rechts zu ermitteln, verwundert kaum. Der Antikommunismus war Staatsdoktrin, ein wirkliches Ernstnehmen der Rechten, ein breit getragener Antifaschismus hätte zu fundamentalem Zweifel am Selbstbild der BRD führen müssen. Schließlich können die historischen Nazis und ihre Unterstützer*innen in Verwaltung, Bildung, Medien, Wirtschaft, Staatsapparaten und Politikbetrieb häufig ein sehr erfolgreiches Leben fortsetzen. Diese Kontinuität lässt sich wie in einem Brennglas in einer der Behörden beobachten, deren vorgebliches Ziel u.a. das Bekämpfen von Nazis sein soll: dem Verfassungsschutz. Es liegt auf der Hand, dass ein mit Hilfe von erfahrenen Profis in der Bekämpfung von Linken, nämlich von Angehörigen der Gestapo, SS oder SD aufgebauter Apparat sich nicht sonderlich stark gegen Rechte wenden wird. Das Kleinreden des Rechtsterrorismus prägt die öffentliche Erinnerung an das Münchner Attentat danach immens. Der Täter, Gundolf Köhler, habe »aus einer schweren persönlichen Krise und/oder aus übersteigertem Geltungsbedürfnis gehandelt« heißt es und das außerdem als Einzeltäter. So sind es vor allem Linke, Gewerkschafterinnen und Kommunistinnen, die sich in den 80er-Jahren gegen das Vergessen wenden und lange Zeit fordern, zumindest am 26.9. das größte Besäufnis der Welt zu pausieren. Auch sind es Genoss*innen, die die ersten öffentlichen Denkmäler für die Opfer installieren. Gegen den Willen der Stadtregierung und lange vor der Einweihung eines offiziellen Denkmals bringen erst Antifaschist*innen der VVN einen Gedenkstein an, nach dessen Entfernung platziert der Arbeiterbund eine acht Tonnen schwere Gedenkskulptur. Neben diesen symbolischen Handlungen weisen häufig Linke auf die Missstände in den Ermittlungen, die absichtlichen Pannen und das Nicht-Sehen-Wollen von Gundolf Köhler als rechtem Akteur hin. Auch 40 Jahre danach bleibt es unabdingbar, an den Anschlag und seine vielen Opfer zu erinnern und auf die lange verdrängte und oft verharmloste Geschichte des Rechtsterrorismus aufmerksam zu machen.
Von 2014 bis 2020 übrigens nimmt die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen zum Oktoberfest-Attentat erneut auf. Als Ergebnis ist immerhin die These vom Studenten, der rein aus persönlicher Frustration zur Tat schreitet, endgültig vom Tisch. Gundolf Köhler, der einen Führerstaat nach Vorbild des Nationalsozialismus anstrebte, heißt es nun auch offiziell, habe mit seiner Tat die Bundestagswahl 1980 beeinflussen wollen. Sein Favorit: Franz Josef Strauß.