Für den 9. November 2015 – dem 77. Jahrestag der antisemitischen Novemberpogrome – kündigt Pegida München einen ihrer allwöchentlichen rassistischen Aufmärsche an. Dem werden wir uns entschieden entgegenstellen. Die rassistische Hetze und die offenen Gewaltaufrufe von Pegida sind jeden einzelnen Tag unerträglich, dennoch ist die bloße Ankündigung eines Marsches am Jahrestag und Ausgangsort der Novemberpogrome eine Provokation, die wir nicht unbeantwortet lassen werden.
Am 9. November hielt der nationalsozialistische Propagandaminister Joseph Goebbels eine antisemitische Hetzrede im Alten Rathaus. Anlass waren die Feierlichkeiten zum Jahrestag des nationalsozialistischen Putschversuches vom 9. November 1923. Die Rede bildete den Auftakt mehrtägiger Pogrome gegen jüdische Menschen im gesamten Reich. Zwischen 7. und 13. November 1938 ermordete der nationalsozialistische Mob ungefähr 400 Menschen oder trieb sie in den Selbstmord. 30 000 Jüd_innen wurden verhaftet und in Konzentrationslagern interniert. Viele Tausend von ihnen überlebten nicht. Unzählbare jüdische Wohnungen, Geschäfte und Friedhöfe, über 1400 Synagogen, Betstuben und andere Versammlungsräume wurden zerstört. In der Nacht auf den 10. November fielen in München die Synagogen in der Herzog-Rudolf-Straße und der Reichenbachstraße den Flammen der Nazis zum Opfer. Die Geschäftsräume der Israelitischen Gemeinde wurden komplett verwüstet. Die Hauptsynagoge in der Herzog-Max-Straße am Stachus konnte der Mob nicht mehr in Brand setzen: die Nazis hatten sie bereits im Juni 1938 abgerissen. Die antisemitischen Pogrome vom November 1938 markieren den Übergang von Ausgrenzung und Entrechtung hin zur systematischen und industriellen Massenvernichtung jüdischer Menschen.
Seit nunmehr gut einem Jahr demonstriert die Pegida-Bewegung, zunächst in Dresden und dann auch vielen anderen Städten Deutschlands und Österreichs. Ihre Hetze richtet sich vorrangig gegen (vermeintliche) Muslime, Rom_nija, Flüchtlinge und Migrant_innen. Sie wendet sich gegen linke, emanzipatorische Praxis, gleichsam wie gegen die Errungenschaften demokratischer Menschen-, Grund- und Bürgerrechte. Es wäre eine falsche Analogie, Pegida unmittelbar mit dem nationalsozialistischen Mob von 1938 gleichzusetzen: Die gesellschaftlichen Verhältnisse in denen sie auftreten sind grundverschieden. Dennoch sind ideologische Überschneidungen zwischen dem Nationalsozialismus und dem Pegidamob offenkundig: Beide fordern auf, zur Tat zu schreiten und die Gewaltphantasien wahr zu machen. So planten fränkische Neonazis einen Sprengstoffanschlag auf ein linkes Zentrum und eine Flüchtlingsunterkunft in Bamberg. Einige der Tatverdächtigen, die bereits eine Schußwaffe und 16 Kilo Sprengstoff besorgt hatten, sind regelmäßige Teilnehmer der Pegida-Märsche in Nürnberg und München. Ihre Anschlagspläne sind nur ein drastisches Beispiel unter vielen, wie sich an den tagtäglichen Übergriffen und Anschlägen gegen Flüchtlinge zeigt.
Die Stärke von Pegida ist es, das geschafft zu haben, woran die deutsche Rechte seit Jahrzehnten gescheitert ist: Sie haben de facto eine faschistische Sammelbewegung gebildet, die das zersplitterte und gespaltene Spektrum aus antimuslimischen Rassist_innen, antisemitischen Verschwörungstheoretiker_innen, rassistischen Bürger_inneninitiativen, Hooligans, Stammtisch- und Kommentarspaltenpöbel und militanten Neonazis gegen einen gemeinsamen, imaginierten Feind geeint und in Stellung gebracht hat. Es ist das klassisch faschistische Setting: in einer apokalyptischen Situation (Islamisierung/Untergang des Abendlandes/Volkstod) kommt es zum Entscheidungskampf („Wir gegen die Anderen“, „Das deutsche Volk“ gegen wahlweise: „die Muslime“, „die Migration“ „die linke Hegemonie“, „die Lügenpresse“ oder „die Politiker“). Gegen solch ideologisches Bewusstsein hilft kein gut gemeintes und wohl überlegtes Argument. Für den faschistischen Mob spielt es keine Rolle, dass Flüchtlinge vom deutschen Staat weder vergoldete I-Phones noch zentral gelegene Eigentumswohnungen geschenkt bekommen. Es spielt für sie keine Rolle, dass der deutsche Staat, mit einem lauten ‚Refugees Welcome‘ auf den Lippen, das Asylrecht verschärft und die weitere Aufrüstung europäischer Außengrenzen forciert. Jeder Überzeugungsversuch wird schon daran scheitern, dass sich die Ideologie Pegidas keinen Deut um so etwas ähnliches wie Wirklichkeit schert, solange der Feind nur klar benannt wird. So kümmert sich die Rede von der „Islamisierung des Abendlandes“ überhaupt nicht um leibhaftige Muslim_innen. Das gilt es im Hinterkopf zu behalten, wenn man erklären möchte, warum Pegida gerade in Sachsen – wo der Anteil muslimischer Menschen an der Wohnbevölkerung verschwindend gering ist – den größten Zulauf hat.
Auf reale Menschen trifft der rassistische und faschistische Mob erst im gewalttätigen Handeln: in Übergriffen, Brandanschlägen und Mordattentaten. Seit Pegida demonstriert, ist die ohnehin schon hohe Zahl rassistischer Übergriffe und Anschläge nochmals massiv gestiegen. Kaum ein Tag vergeht, an dem kein Brandsatz in eine geplante oder schon bewohnte Flüchtlingsunterkunft fliegt, kein Tag ohne rassistische Anfeindungen und Gewalttaten. Diese Gewalt ist die konsequente Weiterführung der allmontäglichen Hetze von Pegida. Die Forderung nach unmittelbarer Gewaltanwendung ist allen ihren Aufmärschen wesentlich. Die Betitelung von Politiker_innen als „Volks-“ und „Hochverräter“ impliziert den Wunsch nach der Vollstreckung der „angemessenen Strafe“, die gezeigten Galgen münden im versuchten Mordanschlag auf die Kölner OB-Kandidatin Henriette Reker und der Ruf „Wir sind das Volk“ steht für den Wunsch all jene zu vertreiben oder auszulöschen, die nicht gemeinsam mit dem Mob das Volk sein sollen oder wollen. Das Denken, dass den momentanen rassistischen Mobilisierungen eigen ist, ist das Denken von Lynchjustiz und Pogrom. Die tagelangen Ausschreitungen gegen die Unterbringung von Asylsuchenden im sächsischen Heidenau haben davon ein deutliches Bild geliefert. Dass Pegida momentan nicht in massenhaften Pogromen mündet, liegt keinesfalls daran, dass es hierzulande nicht tausende Rassist_innen gäbe, die gerne bereit wären zur Tat zu schreiten oder zumindest den brandschatzenden Pöbel zu beklatschen. Ohne zivilgesellschaftlichen Druck und antifaschistische Interventionen sähe das womöglich anders aus. Dass die klandestinen, und von den deutschen Repressionsbehörden nahezu nicht geahndeten, allnächtlichen Anschlägen bis dato noch keine Toten forderten, ist nichts als großes Glück.
An den Münchner Pegida-Märschen nehmen immer auch Nazis teil, die bereit waren zur Tat zu schreiten und zu morden. Karl-Heinz Statzberger und Thomas Schatt – beide regelmäßige Teilnehmer – waren Anfang der 2000er Jahre Mitglieder einer neonazistischen Terrorgruppe unter Führung Martin Wieses. Durch Didier Magnin, einem V-Mann des bayerischen Verfassungsschutzes, mit Waffen und Sprengstoff ausgerüstet, planten sie einen Bombenanschlag auf die Grundsteinlegung des jüdischen Gemeindezentrums am Münchner Jakobsplatz am 9. November 2003. Nach Auffliegen der Planungen wurden sie zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt. Seit ihrer Haftentlassung sind alle drei weiterhin wichtige Figuren der bayerischen Neonaziszene.
Bis vor einigen Jahren veranstalteten Münchner Neonazis regelmäßig am 9. November Kundgebungen in der Münchner Innenstadt. Während es ihnen vordergründig um die Vereinigung von BRD und DDR ging, so feierten sie doch eigentlich Hitlerputsch und Pogrom. Im Rahmen aktueller rechtspopulistischer, rassistischer und faschistischer Bewegungen haben sich hingegen andere, oft widersprüchliche, Formen gebildet, mit dem historischen Nationalsozialismus umzugehen. Gerade in rechtspopulistischen Spektren ist der Versuch einer Umdeutung des NS zu einer „linken Bewegung“ populär. Die damit verbundene oberflächliche Kritik am NS geht dabei oft einher mit einem nach außen getragenen Philosemitismus und einem positiven Bezug auf Israel. Nichts davon hat etwas mit einer Kritik des Antisemitismus oder der Solidarität mit dem Staat der jüdischen Holocaust-Überlebenden zu tun. In einer rassistischen und antisemitischen Figur werden Israel und „die Juden“ in Frontstellung gegen „Islam“ und „arabische Welt“ imaginiert. Der zugrundeliegende Antisemitismus zeigt sich immer besonders deutlich dann, wenn jüdische Menschen die ihnen zugewiesene Rolle nicht spielen wollen und den Rassismus kritisieren; schnell sind dann alte antisemitische Ressentiments bei der Hand. Die unendliche Verlogenheit des rechtspopulistischen Philosemitismus zeigte sich in aller Drastik, als – wie mehrfach auf Münchner Pegida-Märschen zu sehen – Träger_innen einer israelischen Fahne in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Naziterroristen Statzberger und Schatt demonstrierten.
Zugleich haben die Münchner Pegida-Macher_innen ihre Liebe zum ehemaligen Münchner NS-Partei- und Aufmarschviertel entdeckt, mitten drin: der Odeonsplatz und die Feldherrnhalle: den Ort der Niederschlagung des nationalsozialistischen Putschversuchs vom 9. November 1923 und nationalsozialistischer Kultort. Am 19. Oktober ermöglichten es Polizei und Kreisverwaltungsreferat Pegida, die letzten Meter der Demonstrationsroute des Hitlerputsches auf den Odeonsplatz zu laufen. In der Vorwoche hatten Nazis um Statzberger die Feldherrnhalle gestürmt und Parolen gerufen. Dafür, dass Nazis und Rassist_innen ihre Traumroute laufen können, darf man sich nicht zuletzt bei den bayerischen Gerichten bedanken, die bei den Aufmärschen partout keine nationalsozialistische Prägung erkennen wollen und städtische Routeneinschränkungen wiederaufhoben. Der Kampf gegen Nazis ist auf juristischer Ebene nicht zu gewinnen. Am 19. Oktober konnten einige hundert Antifaschist_innen durch eine Blockade verhindern, dass Pegida, wie geplant, einen Kranz direkt am Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus ablegen konnten. Daran gilt es anzuknüpfen.
Wer immer noch meint, Pegida und die momentanen rassistischen Mobilisierung seien ein Problem des rechten Randes oder „ostdeutscher Hinterwäldler_innen“, die noch immer nicht ganz in der bundesrepublikanischen Gesellschaft angekommen seien, irrt. In jeder rechten Mobilisierung zeigen sich die Probleme der Mehrheitsgesellschaft. Kritische Sozialwissenschaftler_innen und antifaschistische Linke haben seit vielen Jahren auf die autoritaristischen, rassistischen und antisemitischen Tendenzen weiter Teile der Bevölkerung hingewiesen. Doch was sich früher nur am Stammtisch entlud und sein Kreuz bei CSU und CDU machte, das hat jetzt Perspektive in Pegida und AfD, bei „besorgten“ Bürgerinitiativen und Naziterrorzellen. Die bayerische Staatsregierung hat sich in der momentanen Phase starker Migration, wie so oft, als Scharfmacherin inszeniert. Bereits 2011 kündigte der bayerische Ministerpräsident Seehofer an, gegen eine „Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme“ „bis zur letzten Patrone“ kämpfen zu wollen. Einige Monate später kam es zur Selbstenttarnung des NSU. Er hatte die letzte Patrone noch nicht verschossen, wie die zahlreichen Waffen und Munitionsfunde zeigten. Bayern, das Land, in dem die meisten NSU-Morde gegen Migranten geschahen, ist auch vier Jahre später einer der zentralen Akteure, wenn es gegen Bleiberecht, Bewegungsfreiheit und Menschenrechte geht. Doch hinter den Machtspielen der bayerischen Staatsregierung und der Hetze von Union und AfD gilt es, nicht den Rechtsruck von SPD, Grünen und Teilen der Linkspartei aus den Augen zu verlieren und ihre Beteiligung an den aktuellen Asylrechtsverschärfungen von der Kritik auszunehmen.
Im oberfränkischen Bamberg hat der bayerische Staat ein Sonderlager für Flüchtlinge aus sog. „sicheren Herkunftsstaaten“ errichtet. Per Dekret vom Grundrecht auf Asyl faktisch beraubt, interniert der bayerische Staat dort vor allem Menschen aus Balkanstaaten, sehr viele von ihnen Rom_nija. Als „Wirtschaftsflüchtlinge“ gebrandmarkt und unter konsequenter Leugnung der systematischen rassistischen Ausgrenzung in ihren Herkunftsstaaten, sollen sie möglichst schnell wieder abgeschoben werden. Mehrere Hundertausend Sint_izze und Rom_nija wurden von den Nazis ermordet, in den selben Konzentrationslagern in denen auch die antisemitische Massenvernichtung stattfand. Wenn die Enkel und Urenkel der Opfer und Überlebenden der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik heute gesondert zum Abtransport in Lagern untergebracht werden, dann lässt sich für den Zynismus dessen kein Wort mehr finden. Wie vor einigen Tagen bekannt wurde, planten fränkische Neonazis einen Sprengstoffanschlag auf das Lager. Sie wollten „noch eins drauf setzen“ und Seehofer beim Wort nehmen. Einige der festgenommenen Nazis sind auch regelmäßige Teilnehmer der Münchner Pegidamärsche, wo sie jeden Montag auf‘s Neue Gleichgesinnte treffen.
Das Gedenken an die Opfer des nationalsozialistischen Terrors beinhaltet notwendig den Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus heutzutage. Nichts und niemand ist vergessen. Pegida stoppen!
Antifaschistische Demonstration
9. November 2015 – 18 Uhr Sendlinger Tor
Momentan läuft eine gerichtliche Auseinandersetzung ob Pegida am 9. November stattfinden darf. Die Erfahrung zeigt, dass solche Entscheidungen in der Regel sehr kurzfristig und im Normalfall zugunsten der Rechten gefällt werden. Sollte der Marsch wider Erwarten verboten bleiben, verschieben wir die Demonstration auf den nächsten Pegida-Termin.