Antifa Actionday #1 (14.11.2009)

Gegen Naziaufmarsch, Militär und kapitalistischen Normalbetrieb
Nazis aus dem Spektrum der „Freien Nationalisten“ und der NPD rufen für den 14.11. zu einem so genannten „Heldengedenken“ auf. Nach dem Naziaufmarsch im letzten Jahr, der durch ein massives Aufgebot von Polizist_innen1 durchgesetzt wurde, ist dies der zweite Versuch von Münchner Nazis, einen Aufmarsch anlässlich des so genannten „Volkstrauertages“ durchzuführen. Bei dieser Veranstaltung geht es Ihnen darum, Wehrmachts- und SS-Soldat_innen2 als „Helden“ zu verklären, ihre millionenfachen Verbrechen zu relativieren und damit den Nationalsozialismus offen zu verherrlichen.
Der Geschichtsrevisionismus ist in den letzten Jahren verstärkt zu einem äußerst attraktiven Betätigungsfeld für die extreme Rechte geworden. Ganz offen wird hierbei auf den nationalsozialistischen Begriff des „Heldengedenkens“ zurückgegriffen. Durch die Umdeutung von Akteur_innen, Orten und Begriffen soll der historische Nationalsozialismus als Ganzes rein gewaschen werden. So versuchen Nazis eine extrem patriarchale, rassistische, antisemitische und ausbeuterische Gesellschaftsordnung auch für die Gegenwart wieder denkbar zu machen. Wir wollen mit dem „Antifa Action Day“ ein klares Zeichen gegen Faschismus, Geschichtsrevisionismus und Militarismus setzen und für die Überwindung der kapitalistischen Verhältnisse kämpfen.
„Volkstrauertag“ und „Heldengedenken“
Bewusst beziehen sich die Nazis im Sinne einer historischen Kontinuität des deutschen Militarismus‘ hierbei auf die Tradition des so genannten „Volkstrauertages“. Erstmals wurde dieser Tag 1922 offiziell begangen, 1933 wurde der Tag von den Nazis zum staatlichen Feiertag gemacht und 1934 in „Heldengedenktag“ umbenannt. Ungeachtet der Befreiung vom Nationalsozialismus wird der „Volkstrauertag“ in der BRD seit dem Jahr 1950 wieder begangen. Der „Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge e.V.“ (VDK) spielt eine zentrale Rolle beim Begehen dieses Feiertages und wird von Bund und Ländern unterstützt. Weitere Unterstützung erhält er von der Bundeswehr, mit der er eng zusammenarbeitet. Das Hauptbetätigungsfeld dieses Vereins ist es, die Überreste deutscher Soldat_innen in aller Welt zu bestatten und deren Gräber zu pflegen. Die konkreten politischen und historischen Faktoren, die dazu geführt haben, dass die Leichen deutscher Soldat_innen überall auf der Welt verstreut unter der Erde liegen, werden nicht hinterfragt – im Gegenteil: Es wird das Bild eines komplett unpolitischen Soldaten produziert, der nur seine Pflicht getan habe und völlig undifferenziert aller Opfer von Krieg und Gewalt gedacht. In die selbe Kerbe schlagen auch die geschichtsrevisionistischen Alt-Nazi-Treffen u.a. in Mittenwald, Bad Reichenhall und Ulrichsberg, Kärnten/Koroška. Damit wird der Nationalsozialismus in letzter Konsequenz vom bis dato größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte zu einer Art Naturkatastrophe verklärt, von der alle gleich betroffen waren. So werden Täter_innen und Opfer auf eine Stufe gestellt und die deutschen Verbrechen in der Zeit des Dritten Reiches relativiert und verharmlost – und damit der geistige Nährboden für ein rechtsextremes Geschichtsbild gelegt.
Militarisierung der Gesellschaft
Das öffentliche Abfeiern gefallener deutscher Soldat_innen ist ein Mittel, um das allgemeine Ansehen des Militärs in der Bevölkerung zu erhöhen. Dies wird in Zeiten, in denen Deutschland u.a. in Afghanistan und Somalia wieder Krieg führt, immer wichtiger. Die Bundeswehr ist entgegen der offiziellen Darstellung nicht etwa eine Art „Technisches Hilfswerk mit Knarre“, vielmehr führt sie weltweit Krieg für die „Sicherung des Zugangs zu Märkten und Rohstoffen in aller Welt“ (Zitat aus den verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundeswehr). In Afghanistan töten die Besatzungstruppen täglich Menschen. Die Bundeswehr ist dort mit Luft- und Bodentruppen und in der Ausbildung der afghanischen Armee aktiv, um eben diesen Zugang zu Märkten und Rohstoffen zu garantieren.
Patriarchat als tragende Säule von Krieg
Militär funktioniert mit dem Rückgriff auf patriarchale Bilder soldatischer Männlichkeit, die uniformierte Männer brutal ausleben. überall, wo Krieg und Besatzung den Alltag der Menschen bestimmen, nehmen Gewalt gegen Frauen und alle, die nicht in die jeweils vorherrschende Spielart patriarchaler Norm passen, zu – sei es durch marodierende Militärs oder bspw. Zwangsprostitution. Jeder Krieg wird also immer zuallererst auf dem Rücken der Ärmsten und am meisten unterdrückten Menschen (sog. „Zivilbevölkerung“) ausgetragen. Mit dem Mittel des Krieges wollen die NATO-Staaten die herrschenden kapitalistischen Verhältnisse, die zu Gunsten einer kleinen Minderheit immer größere Teile der Weltbevölkerung in Hunger, Armut und Unterdrückung zwingen, militärisch absichern und ausweiten.
Der so genannte „Volkstrauertag“ trägt mit dazu bei, dem permanenten Kriegszustand, in dem sich die BRD de facto seit Jahren befindet, an der „Heimatfront“ den notwendigen Rückhalt zu verschaffen – er ist also in den Kontext einer massiven Re-Militarisierung der deutschen Gesellschaft im Sinne einer zukünftigen Kriegsführung einzuordnen. Zum Zweck des Kriegführens wirbt die Bundeswehr verstärkt an Schulen und Arbeitsämtern in der ganzen Bundesrepublik dafür, dass sich junge Männer und Frauen zur kämpfenden Truppe verpflichten lassen und stellt dabei besonders die „Karrierechancen“ heraus, die sich damit bieten würden – vom Töten und Getötet werden und von der Grausamkeit des Krieges ist dabei keine Rede. Davon soll mit allem möglichen militaristischen Firlefanz, wie zum Beispiel dem öffentlichen Abhalten von Gelöbnissen, Zapfenstreichen etc., abgelenkt werden.
Krieg nach Außen, Repression nach Innen
Die andere Seite der Medaille ist die innere Aufrüstung. Ein Land, das im Krieg steht und auch weiterhin stehen wird, muss sich sicher sein, dass eventueller Widerspruch gegen die herrschenden kapitalistischen Verhältnisse im Notfall auch mit repressiven Maßnahmen wirksam unterdrückt werden kann. In den letzten Jahren konnten wir eine immer weiter voranschreitende, umfassende autoritäre Formierung der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft in Deutschland und allen anderen westlichen Industriestaaten beobachten. Polizeistaatliche Methoden, wie die Erfassung sämtlicher Autokennzeichen auf deutschen Autobahnen, die flächendeckende Speicherung von Internet-, Handy- und Telefonverbindungsdaten, die massive Ausweitung der Befugnisse von Polizei, Geheimdiensten usw. gehen einher mit einem zunehmenden Sozialabbau, der zunehmenden Prekarisierung weiter Teile der Bevölkerung in Deutschland. Hinzu kommt die repressive Aus- und Abgrenzung gegenüber Migrant_innen als Teil einer globalen Strategie, Migrationsbewegungen im Sinne der kapitalistischen Verwertungslogik zu kontrollieren.
Die Pläne zum Einsatz der Bundeswehr im Inneren liegen bereits fertig in der Schublade. In Zeiten der weltweiten Krise des kapitalistischen Systems, die auch in den westlichen Industrieländern noch größeren Teilen der Bevölkerung als bisher die Existenzgrundlage zu entziehen droht, werden die sich aus einer – scheinbar alternativlosen – zerstörerischen kapitalistischen Verwertungslogik heraus ergebenden Widersprüche durch immer repressivere Maßnahmen unter Kontrolle gehalten. Weltweit äußert sich dies in Form von Kriegen und der gewaltsamen Unterdrückung von sozialen Bewegungen – hierzulande hingegen in immer umfangreicherer Überwachung von immer mehr Menschen und in immer strikteren Gesetzen. Beides richtet sich insbesondere auch gegen soziale Bewegungen, die sich gegen die menschenverachtenden, kapitalistischen Verhältnisse zur Wehr setzen.
Der Faschismus als gesellschaftliches Phänomen…
…entsteht und befindet sich nicht etwa am „Rand der Gesellschaft“, sondern treibt den autoritären, ausbeuterischen, rassistischen, antisemitischen, nationalistischen und sexistischen Normalzustand auf die Spitze. Die Neonazis stellen die extremste Verkörperung der reaktionären Ideologien dar, die den kapitalistischen Verhältnissen innnewohnen – sie kommen also aus der Mitte der Gesellschaft. Faschist_innen gelingt es immer wieder, gesellschaftliche Spielräume zu nutzen und das politische Koordinatensystem nach rechts zu verschieben. So waren die neofaschistischen Pogrome Anfang der 90er Jahre (Rostock, Hoyerswerda, Solingen, etc.) durchaus ein willkommener Vorwand für die faktische Abschaffung des Asylrechts im Jahre 1993. Die pseudo-antikapitalistische Agitation der Nazis beispielsweise gegen Hartz IV oder den G8-Gipfel 2007 in Heiligendamm beweist außerdem, dass die Faschist_innen ein bedeutender gesellschaftlicher Faktor in der Agitation, bzw. im Kampf gegen soziale Bewegungen und die politische (radikale) Linke sind.
In ihrer Agitation wird die Ursache für die weltweite, alltägliche Ausbeutung und Unterdrückung nicht im kapitalistischen System selbst gesucht, sondern einzig und allein in antisemitischen und rassistischen Zuschreibungen. Alle Probleme werden demzufolge auf ideologisch konstruierte Sündenböcke („die Juden“, „die Ausländer“, etc.) abgeladen, wohingegen das den Missständen zugrunde liegende Problem, die kapitalistische Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, in ihren Grundsätzen unangetastet bleibt. Die Faschist_innen stabilisieren also mit ihrer „extremen“ Propaganda die herrschenden Verhältnisse und tragen so ihren Teil zur kapitalistischen Ausbeutung und Unterdrückung bei, auch wenn Form und Inhalt nicht immer mit der bundesdeutschen Staatsräson übereinstimmen. Das zeigt sich unter Anderem in Form von gewalttätigen Übergriffen zum Beispiel auf Migrant_innen und Antifaschist_innen. Auch das neonazistische „Heldengedenken“ am 14.11. zielt in seiner grundsätzlichen Stoßrichtung auf eine weitere Militarisierung der deutschen Gesellschaft ab.
Der Kampf gegen den Faschismus besteht für uns dementsprechend nicht nur darin, konkret Naziaufmärsche etc. möglichst zu verhindern. Er bedeutet für uns einerseits Selbstschutz, andererseits aber auch Mittel und Voraussetzung zur Entwicklung der Perspektive einer befreiten, klassenlosen Gesellschaft, in der Ausbeutung und Unterdrückung aller Art keinen Platz mehr haben. Jeder konsequente Antifaschismus muss also damit einhergehen, die kapitalistischen Verhältnisse ständig in Frage zu stellen und auf deren Überwindung hinzuwirken.
Vermiesen wir den Nazis gemeinsam diesen Tag!
Für eine klassenlose Gesellschaft!

(1) Um symbolisch Raum zu lassen für Menschen, die sich in der bipolaren Geschlechterkonstruktion in „Männer“ und „Frauen“ nicht wiederfinden, verwenden wir durchgängig die Schreibweise mit Unterstrich.
(2) Wir schreiben hier bewusst „Soldat_innen“, weil es in Wehrmacht, SS und sonstigen Militäreinheiten auch Frauen gab – freilich zumeist in niedrigeren Dienstgraden. Sie waren nicht nur in der zivilen Unterstützung oder als Arbeiterinnen in der Waffenproduktion und -lieferung tätig, sondern auch als Teil der uniformierten, kämpfenden Truppen aktiv, zum Beispiel als KZ-Aufseherinnen.
Unterstützt von: aka_muc, Antifa Horgau, Antifa Miesbach/Oberland, antifa nt (München), Antifaschistischer Arbeitskreis Traunstein, Assoziation autonomer Umtriebe Dachau, Autonome Antifa Koroška/Kärnten, Autonome Antifa Passau, Infogruppe Rosenheim, Infoladen Salzburg, r|am (Jugendantifa München), SDAJ München
Treffpunkt für alle AntifaschistInnen am 14.11 ist um 10.30Uhr am Georg-Freundorfer-Platz (U4/U5 Schwanthalerhöhe)

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