le monde est à nous! (30.04.2010)

talkin‘ bout a revolution
Aufruf der antifa-nt zur „le monde est a nous“-Demo am 30.4. in München

Der Kapitalismus mitsamt seinen Kategorien und Formen, wie etwa Tausch, Geld, Wert oder Arbeit ist nicht ewig gültig, geschweige denn notwendig und unüberwindbar. Es gab etwas vor dem Kapitalismus und es wird wohl auch etwas nach dem Kapitalismus geben: Wenn es nach uns geht eine Gesellschaft ohne Zwang und Herrschaft, eine Gesellschaft in der die Individuen selbstbestimmt und kollektiv die Belange ihres Lebens gestalten: und dabei kann es uns nicht schnell genug gehen.
haymarket was a riot!
Die Abschaffung von Zwang und Herrschaft, die Emanzipation der Gesellschaft von den sie vielfältig durchziehenden Strukturen und Mechanismen von Gewaltförmigkeit und Unterdrückung ist heute so geboten, wie sie es eigentlich immer schon war.
Herrschaft und die Möglichkeit der Befreiung von ihr können sich dabei nicht an abstrakten Vorstellungen orientieren und im luftleeren Raum stattfinden. Emanzipatorísche Bewegungen müssen sich auf der Höhe der Zeit auf die jeweiligen Formen von Herrschaft beziehen, um an ihnen ihre Kritik anzubringen, sie aufzuheben und zu überwinden. Dazu wollen wir mit einer pluralistischen Demonstration am 30. April, die der Vielfalt im Ausdruck radikal-antikapitalistischer Positionen Rechnung trägt, beitragen. Der 30. April als Vortag des 1.Mai, dem traditionellem „Kampftag der Arbeiter_innenklasse“ symbolisiert für uns zweierlei. Zum einem wollen wir uns explizit in der Tradition emanzipatorischer Bewegungen und Kämpfen für ein besseres Leben verorten, die mit den riots am Chicagoer Haymarket den Anlass für die Tradition des Ersten Mai gaben. Zum anderen aber scheint es uns notwendig mit einem Erster-Mai-Traditionalismus zu brechen, der im alljährlichen Spektakel eher sich selbst karikiert, als eine radikale Gesellschaftskritik zu üben. Nicht „weil‘s sich so gehört und weil wir‘s schon immer so machen“, nicht weil die Blaskapelle der Münchner Verkehrsgesellschaft so schön die Internationale trällert und nicht weil die DGB-Bratwurst mit viel Senf und den Kolleg_innen doch am besten schmeckt, macht der Erste Mai Sinn. Er macht nur Sinn als Ausdruck einer antikapitalistischen Theorie und Praxis und nicht als Ersatzhandlung für sie. In den herrschenden Zuständen macht es keinen Unterschied ob grad Weihnachten oder Erster Mai ist, ob mensch Geburtstag hat oder nicht und daher darf die Opposition gegen sie das auch nicht. Jeder Tag ist ein Tag an dem wir für ein ganz anderes Ganzes eintreten, der 1.Mai, wie der 30. April, der 29. Februar, wie der 8. März. Jeder Tag ist ein Erster Mai!
no exit?
Im Kapitalismus hat es eigentlich immer diejenigen gegeben, die dazu beigetragen haben ihn zu rechtfertigen und zu legitimieren, ihn durchzusetzen und auszuweiten. Innerhalb kapitalistischer Gesellschaften haben sich eine nie gekannte Vielzahl von Erklärungsmustern und Ideologien entwickelt. Den meisten dieser Ideologien ist gemein, dass sie Kapitalismus, Herrschaft etc. eben nicht als von Menschen gemachtes, historisch Gewordenes und damit als (zumindest potentiell) Überwindbares analysieren. Diese Apologet_innen des Kapitalismus behaupten oftmals die Natürlichkeit und Notwendigkeit der Zustände, wie sie gerade sind:
So gilt ihnen Eigentum als Naturrecht, Herrschaft von „Männern“ über „Frauen“ als biologische Notwendigkeit und der staatliche Gewaltapparat als einzige Möglichkeit das gegenseitige Abschlachten im Krieg Aller gegen Alle zu verhindern.
Mit der Entwicklung des Kapitalismus hat sich ein spezifischer Begriff von Wissenschaftlichkeit, Objektivität und Rationalität herausdifferenziert. Wissenschaft im Kapitalismus, die sich vor allem an Maßstäben von Naturwissenschaften orientiert, beansprucht dabei meist eine überhistorische Geltung. Durch diesen unhinterfragten Anspruch auf Objektivität, der den eigenen gesellschaftlichen Standpunkt und die historischen Voraussetzungen der Theoriebildung nicht mitreflektiert, bestätigt sie meist was gesellschaftlich eh schon gilt und wird damit ideologisch: „So wie es ist, ist es gut“; die Möglichkeit anderer Formen von Gesellschaft gilt ihr als verrückt. Dies hat mehrerlei zur Folge: Zum einen werden alle Formen von vor- oder nichtkapitalistischen Gesellschaften konsequent abgewertet: in der Vorstellung der dunklen, irrationalen Vormoderne¹, der das glanzvolle Zeitalter technischer Rationalität entgegengestellt wird oder aber auch in der Vorstellung der zu zivilisierenden „Wilden“, denen erst noch Arbeit und Kultur, Staat und Rationalität beigebracht werden müsse, kommt dies zum Ausdruck. Aber auch einen auf die Zukunft gerichteten Aspekt hat das konsequente Verleugnen nicht-kapitalistischer Möglichkeiten. Gesellschaftliches Agieren scheint ihr nur auf dem Boden aktueller gesellschaftlicher Tatsachen möglich, eine radikale Kritik deren Anliegen es ist, nicht bloß einzelne Merkmale des Kapitalismus zu verändern, sondern den Kapitalismus in Inhalt und Form in Frage stellt, gilt ihr als utopisch und schlicht verrückt: „Das wäre ja alles ganz schön mit der befreiten Gesellschaft, aber das geht halt nicht. Der Mensch ist von Natur aus egoistisch!“ heißt es oft sinngemäß von denjenigen, die sich ein ganz anderes Ganzes nicht vorstellen können oder wollen.
Die Rede vom „Wesen des Menschen“ vollzieht das oben beschriebene: das Menschenbild des Kapitalismus, das egoistische und konkurrierende Individuum wird so mit einem ewig und objektiv gültigen „Wesen“ in Eins gesetzt. Dass Konkurrenz bei Abschaffung des Mangels gänzlich unsinnig wäre, dass der Mensch immer Resultat der von ihm selbst gemachten gesellschaftlichen Zustände ist, darauf zu kommen wäre dabei eigentlich gar nicht so schwer.
Anliegen emanzipatorischer Bewegungen muss es daher zu allererst sein, die versteckten Möglichkeiten der Überwindung von Kapitalismus und Herrschaft aufzuzeigen.
Dabei haben sie es allerdings mit einer Vielzahl von Problemen und Schwierigkeiten zu tun. Mit dem Scheitern realsozialistischer Projekte und dem Ende der Sowjetunion ging die gesellschaftlich weit verbreitete Vorstellung eines „Ende der Geschichte“, des endgültigen Triumphs von Marktwirtschaft und Kapitalismus einher. Revolutionäre Aufhebung des Kapitalismus erschien vollends absurd, weltfremd und wahnwitzig. Es werde nur noch um kleinere Konflikte innerhalb der bestehenden Ordnung gehen, so die verbreitete Vorstellung, um Fragen wie SPD oder CSU, 35- oder 40-Stunden-Woche, Vanille- oder Erdbeereis. Die Möglichkeit einer ganzen anderen Gesellschaft schien begraben.
Auch wenn der Kapitalismus sein Glücksversprechen nicht eingelöst hat, die blühenden Landschaften noch immer triste Betonwüsten sind und spätestens mit der weltweiten Krise der letzten Jahre, es für die allermeisten Menschen, auch innerhalb der kapitalistischen Metropolen, bergab geht, bleiben die meisten Kämpfe gegen den Kapitalismus Abwehrkämpfe. Die Perspektive auf globale, antikapitalistische und emanzipatorische Bewegungen sieht leider dürftig aus. Verelendung allein schafft halt noch kein revolutionäres Subjekt, auch wenn einige das nicht wahrhaben wollen.
Die meisten dieser Kämpfe bleiben dabei fest im Boden gesellschaftlicher Tatsachen verankert. Soziale Forderungen werden – wenn sie denn überhaupt artikuliert werden – oft nur an Gewerkschaftsfunktionär_innen, Chef_innen oder den Staat gestellt. Die Frage ob diese Rollen und Institutionen nicht eher das Problem und nicht seine Lösung darstellen wird in der Regel gar nicht gestellt. Die zum Ausdruck kommenden Sehnsüchte nach dem fordistischen Wohlfahrtsstaat der 60iger und 70iger Jahre, nach Vollbeschäftigung und relativem Wohlstand sind vor dem Hintergrund der sich immer weiter zuspitzenden Verhältnisse nachvollziehbar. Die fordistische Periode des Kapitalismus war aber eine historische Ausnahme. Obendrein gab es diese sozialen Sicherungen nur innerhalb einiger Industrienationen und erst recht nicht für alle. Ansonsten waren prekäre gesellschaftliche Verhältnisse die Regel. Linke Forderungen, die sich primär an den Staat richten, bleiben im Endeffekt in dessen Logik stecken. Die Rückkehr zu einem starken und paternalistischen Staat, der generös verteilt, scheint für uns weder möglich noch in irgendeiner Weise wünschenswert. Wenn nicht Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum für ausnahmslos alle eingefordert wird, sondern im standortnationalistischen Denken, der Staat als Beschützer vor dem Kapital bemüht wird, dann hat das relativ wenig mit Befreiung zu tun. Staat ist nicht unabhängig vom Kapital und ist daher kein neutraler Mittler und schon gar kein probates Mittel zur Emanzipation.
Als radikale Linke sind wir aber noch mit einem ganz anderen Problem konfrontiert. Das Scheitern von radikaler Emanzipation von Verwertung, Zwang und Herrschaft innerhalb der verschiedenen „Realsozialismen“ wirft seinen langen Schatten auf alle jetzigen Bestrebungen nach revolutionärer Veränderung. Gerade für uns als radikale Linke muss es darum gehen, dass nicht eingelöste Versprechen auf die Überwindung der Formen von Staat, Nation, Geld oder Arbeit einzufordern, mit denen im „Realsozialismus“ zu keiner Zeit gebrochen wurde. Nicht ein sozialistischer Staat, eine sowjetische Nation oder proletarische Arbeit kann unser Ziel sein, es geht nicht um eine andere Partei an der Regierung, es geht um Abschaffung jeder Art von Regierung. Dies ist immer wieder gegen jene Fraktionen der Linken zu betonen, die glauben es sich theoretisch, wie praktisch in den kapitalistischen Formen bequem machen zu können und nur nach einem anderen Inhalt der Politik schreien. Sei es aus sozialdemokratischem Konformismus, dem postmodernen Glauben an partikulare Befreiung oder aus leninistischer Nostalgie. Für uns ist es elementar die Verwobenheit von Inhalt und Form kapitalistischer Herrschaft aufzuzeigen und den radikalen Bruch mit Staat, Nation, Kapital, Arbeit und was es sonst nicht alles so gibt zu forcieren.
Arbeit nervt.
Gerade im Bezug darauf, dass die Geschichte linker Bewegungen zu einem großen Teil auch die Geschichte der Arbeiter_innenbewegung ist, macht es Sinn sich die Bedeutung von Arbeit innerhalb kapitalistischer Gesellschaften etwas näher anzusehen. Arbeit und das ist überaus wichtig zu betonen bedeutet im Kapitalismus nicht so etwas wie nur Tätigkeit. Menschen werden immer eine Vielzahl von Dingen tun und damit ihr Leben gestalten. Wir werden auch nach dem Kapitalismus noch Bier brauen, Bücher schreiben und lesen, 3-Gänge-Menüs zubereiten und Punkkonzerte geben und auch dann werden wir noch Tomaten ernten, Kanalisationen reinigen und Wäsche waschen müssen. Die Bedeutung die Arbeit im Kapitalismus hat, ist also nicht die von mehr oder weniger sinnvoller Tätigkeit. Im Gegenteil, das Konzept von Arbeit schließt eine Vielzahl von Tätigkeiten aus sich aus, was meist auch die gesellschaftliche Abwertung dieser Tätigkeiten mit einschließt.
Der Kapitalismus hat eine spezifische Form der Tätigkeit als gesellschaftlich bestimmende hervorgebracht: die Lohnarbeit. All diejenigen, die über keine Produktionsmittel verfügen – und das ist der Großteil der Menschen – müssen ihre Arbeitskraft auf dem Markt verkaufen um Leben zu können. Sie sind abhängig vom Lohn.
Sie bekommen in der Regel nur so viel, dass es halbwegs zum Leben reicht. Als Ausbeutung ist Arbeit also auch Ausdrucksform eines Herrschaftsverhältnisses. Doch ein immer größer werdender Teil der Menschen ist selbst davon noch ausgeschlossen, da sie keine Möglichkeit haben, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, sprich arbeitslos sind oder nicht arbeiten können. An sich wäre es eine großartige Sache, wenn alle Menschen weniger arbeiten müssten. Doch so ziemlich nichts im Kapitalismus ist umsonst und für alle zugänglich. Fast Alles ist in die Warenform gepresst und will bezahlt sein. Paradoxerweise ist der gesamtgesellschaftliche Reichtum heute so groß wie noch nie in der Geschichte der Menschheit. Doch davon profitieren nur wenige, er ist exklusiv. Es ist dem Kapitalismus eigen gleichzeitig enorme Reichtümer, wie extreme Armut zu produzieren.
Im Kapitalismus ist Arbeit stets mehrerlei: Neben den ökonomischen Aspekten hat Arbeit eine zentrale Rolle im sozialen Leben der Menschen. Der soziale Status, die Identität und die Selbstwahrnehmung von Individuen und Gruppen stellt sich oft über die Identifikation mit der eigenen (Lohn-) Arbeit her. Nicht zufällig ist die Frage: „Und was machst du so beruflich?“ oft eine der ersten die mensch sich beim kennenlernen stellt. Diese Fixiertheit auf die Arbeit wertet diejenigen ab, die nicht (lohn-)arbeiten oder andere gesellschaftlich-anerkannte Dinge tun. Sie stellt diejenigen die nicht arbeiten können oder wollen unter Erklärungszwang, Rechtfertigungdruck und grenzt sie aus.
Mit den Hartzgesetzen wurde zudem ein faktischer Arbeitszwang für alle eingeführt und das gerade in Zeiten in denen es immer weniger Jobs gibt. Damit verschärfte sich auch die Hetze gegen alle, die nicht arbeiten durch den Vorwurf arbeitsunwillig zu sein. Die eigene Angst irgendwann selbst arbeitslos und damit weitgehend von der Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen zu sein, wird oft in Ressentiments gegenüber denen umgewandelt, die schon soweit sind.
Arbeit und Ausgrenzung
Im affirmativen Bezug auf das eigene „produktive Schaffen“ in der Arbeit liegen eine Vielzahl an Ausgrenzungs- und Unterdrückungsmechanismen begründet. Mit der Bekräftigung des moralischen und gesellschaftlichen Wertes der eigenen Plackerei geht allzu oft der Neid und der Hass auf diejenigen einher, denen zugeschrieben wird, sich der Notwendigkeit der Arbeit unter der mensch selbst leidet und von der er sich aber keine Überwindung und Aufhebung vorstellen kann und will, zu entziehen.
Projeziert werden diese Sehnsüchte nach der Nicht-Arbeit beispielsweise auf „die Juden“², die statt selbst im Schweiße ihres Angesichts tätig zu sein vom Wucher und vom Zins der „Nichtjuden“ lebten, da sie nicht zu ehrlicher, körperlicher und schaffender Arbeit fähig sein. Auch an den Figuren des „Zigeuners“, oder etwa der „exotischen Wilden“ kommt die fatale Projektion zum Vorschein. In ihnen wird die vermeintliche Idylle vormoderner, nomadischer und zwangloser Lebensformen halluziniert, um sogleich wieder deren Zivilisierung, als einer gewaltsamen Zwingung unter das Joch der Arbeit zu fordern. Der projezierte Luxus der freien Verfügbarkeit der Zeit ist somit zweierlei zugleich: tief liegender Wunsch und abstoßender Ekel. Eine Aufhebung von Arbeitszwang jenseits rassistischer Stereotype scheint dabei in dieser konformistischen Revolte undenkbar.
An der Figur des „Zigeuners“ lässt sich dies erschreckend gut darstellen. Die rassistische Vorstellung, die gemeinhin über diejenigen vorherrscht, die als „Zigeuner“ (fremd-)bezeichnet werden, scheint das totale Gegenteil und Negation des homo oeconomicus, des rational agierenden, auf eigene wirtschaftliche Interessen gerichteten, ehrlich arbeitenden Individuums, gottesfürchtigen und treuen, männlichen Staatsbürgers der liberalistischen Theorie zu sein .Er gilt als nicht sesshaft, staaten- und gottlos, vagabundierend, faul und arbeitsverweigernd, wild, erotisch, mystisch, diebisch und in der Sippe organisiert.
Durch diese rassistisch-romantisierende Darstellung ergibt sich mehrerlei: zum einen kompensiert das geschundene Subjekt sein eigenes Leiden an Lohnarbeit und Herrschaft, ohne aber dabei eine wirkliche Befreiung von Lohnarbeit und Herrschaft als historisch möglich in Betracht zu ziehen, zum anderen aber regt sich der Wunsch, die Geschichte der eigenen Zurichtung zum kapitalistisch verwertbaren Individuum an „dem Zigeuner“ zu wiederholen. Er verkörpert die zu bezwingende Natur, an der noch die „kulturschaffende Arbeit“ zu verrichten ist, das Nichtidentische der kapitalistischen Gesellschaft.
Er ist die Antithese zum Menschenbild von Aufklärung und Kapitalismus, gleichwohl wie er das Produkt von beiden ist. Sinti_za und Rom_nija³, leben etwa seit 1400 in Europa. Mit dem Aufkommen ursprünglicher Akkumulation, protokapitalistischer Ökonomien und (protestantischer) Arbeitsmoral gegen Ende des 15. Jahrhunderts begann auch ihre Verfolgung. Einhergehend mit den gesellschaftlichen Rationalisierungsprozessen, der Verwissenschaftlichung und der sich ausbildenden Vormachtstellung vermeintlich „objektiver“ Naturwissenschaften entstand bald ein biologistisch-rassistisches Ressentiment gegen die „Zigeuner“. Hierbei wurde die meist erbärmliche Lage der Sinti_za, Rom_nija, etc. rassifiziert und naturalisiert. Gesellschaftliche Gründe für Armut und Ausgrenzung werden nicht angenommen. Die soziale Lage wird einem angeblichen „Wesen“ eingeschrieben und damit verallgemeinert und verewigt. Arbeitszwang und Zuchthaus waren für die Konstitution des verwertbaren, modernen Individuums dienlich und erfolgreich und genau dieselben Zwangsmaßnahmen werden nun für die „Zigeuner“ auch vorgesehen. Im Nationalsozialismus gipfelte der Antiziganismus in der hunderttausendfachen Ermordung von Sinti_za, Rom_nija und anderen Menschen die als „Zigeuner“ bezeichnet wurden
Arbeit und Geschlechterrollen.
Linke Kritik kann sich nicht nur auf „kapitalistische Arbeit“ als bezahlte Arbeit beschränken. Arbeit wird in zwei scheinbar voneinander unabhängige Bereiche getrennt, die Produktions- und die Reproduktionssphäre. Diese Trennung geht einher mit der Konstruktion zweier gegensätzlicher Geschlechter. Weite Teile der überwiegend von Frauen verrichteten Reproduktionsarbeit, also bspw. Haushalt, Kindererziehung, oder Besorgungs- und Betreuungstätigkeiten werden nicht entlohnt, bzw. gar nicht als Arbeit angesehen. Als männlich angesehene Lohnarbeit ist die gesellschaftlich dominante Form der Arbeit. Lohnarbeit wird gleichgesetzt mit Arbeit allgemein. Damit werden alle Reproduktionstätigkeiten entweder als Nichtarbeit oder »Freizeit« betrachtet und somit abgewertet Mit dem Siegeszug der kapitalistischen Produktionsweise setzte sich auch die geschlechtsspezifische räumliche Trennung in einen „öffentlichen, produktiven, männlichen“ und den untergeordneten „häuslichen, fürsorglichen, weiblichen“ Bereich durch.
Desweiteren gilt von Frauen verrichtete Arbeit weniger und wird obendrein fast immer schlechter entlohnt. Frauen finden sich in größerem Maße in prekären und ungesicherten Berufsverhältnisssen und sind viel seltener in leitenden Positionen als Männer.
Warum Antifa auch den Kampf für ein ganz anderes Ganzes bedeuten muss.
Auch und gerade als Antifa-Gruppe sind wir der Meinung, dass es unumgänglich ist, sich im Kampf für ein schönes Leben auf mehr als nur auf einen Teilaspekt dieser allzu widersprüchlichen Gesellschaft zu konzentrieren. Antifaschismus der sich stets und einzig um Nazis dreht greift zu kurz. Nicht erst seit Nazis vermehrt versuchen soziale Themen von Rechts aufzurollen und nicht weil es Jahr für Jahr massive Naziaktivitäten rund um den ersten Mai gibt, muss eine antifaschistische, radikale Linke die soziale Frage stellen. Rechte Ideologien und Organisationen müssen immer im Kontext der gesellschaftlichen Grundbedingungen betrachtet werden, aus denen sie entstehen. Rassismus, Antiziganismus, Antisemitismus, Sexismus, Homophobie, Nationalismus oder autoritäre Staatsvorstellungen finden sich nicht nur bei Nazis, sondern durchziehen und bestimmen die bürgerliche Gesellschaft. Ein konsequentes Vorgehen gegen Nazis und andere Rechte muss auch die herrschenden Verhältnisse in Frage stellen. Alles andere bleibt im Endeffekt Symptombekämpfung.
Emanzipatorische Bewegungen müssen sich gegen alle Formen von Herrschaft, Unterdrückung und Ausbeutung gleichermaßen richten. Dabei gilt es auch deren verschiedene Verknüpfungen und konzeptionelle Ähnlichkeiten aufzuzeigen und gemeinsam zu bekämpfen. Befreiung ist unserem Verständnis nach nicht teilbar. Emanzipation muss also auch bedeuten, dass wir Kritik nicht ausschließlich an „den Anderen“ üben können, sondern immer auch unsere eigenen gesellschaftlichen Rollen mitreflektieren müssen.
In diesem Sinne:
Kommt am Abend des 30. April nach München zur antikapitalistischen Demo um 18 Uhr am Rosenheimer Platz!


1 Selbstverständlich ist es nicht in unserem Sinne vorkapitalistische Zustände in irgendeiner Weise als wünschenswert darzustellen.
2 Diese in Anführungszeichen stehenden Begriffe beschreiben rassistische Projektionen der Mehrheitsgesellschaft, nicht reale Personen. Daher benutzen wir hier auch keine gegenderte Sprache.
3 Wir schreiben hier Sint_iza und Rom_nija als gegenderte Form des grammatikalisch männlichen „Sinti und Roma“. Dies ist die in Deutschland am meisten gewählte Selbstbezeichnung, sie wird u.a. vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma benutzt. Wir sind uns allerdings bewusst, dass es auch einige Kritik an dieser Bezeichnung gibt, da sie andere Gruppen nicht miteinschließt.