Eine Analyse der politischen Agenda der AfD und einige Überlegungen zu antifaschistischen Gegenstrategien
Der Kampf gegen die AfD, als einen der zentralen Akteure rechter Hegemoniepolitik und handfester Gewalt, ist ein Kampf, der die (radikale) Linke als Ganze angeht und alle Bereiche linker Praxis umfassen muss. Wir wollen versuchen, die strategische Frage in Bezug auf mögliche linke Bündnispolitiken nicht vor dem Hintergrund von Allgemeinplätzen und festgefahrenen Glaubenssätzen zu entwickeln, sondern uns das Ganze über eine Analyse des (gemeinsamen) politischen Gegners in Gestalt der AfD zu entwickeln.
Ein Gesellschaftsmodell als Programm
Das Programm, das die AfD auf ihrem Stuttgarter Parteitag beschlossen hat, muss als umfassendes Programm einer rechten Umgestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse betrachtet werden. Der Politikstil hochrangiger AfD-Funktionär_innen, wie Petry, Gauland oder Storch mit ihren schnell getakteten medialen Kampagnen und den wechselnden Schwerpunktsetzungen – Eurokrise, Migration, Islam – sollte nicht dahingehend missverstanden werden, dass er eine politische Beliebigkeit und mangelnde ideologische Grundlage offenbart. Dies gilt es auch zu bedenken, wenn die AfD als populistische Partei betrachtet wird. Sie mag populistisch sein in Bezug auf ihre mediale und diskursive Strategie, sie mag populistisch dahingehend sein, eigene ideologische Widersprüche und Spaltungslinien durch strategische Figuren von Einheit und Abgrenzung zu kitten, sie ist aber gewiss keine populistische Partei, wenn darunter verstanden wird, dass ihre politische Positionierung sich nur auf einige wenige, medial sehr präsente Kernthemen beschränken lässt. Wer die 93 Seiten AfD-Programm liest, wird dort auf ein einigermaßen konsistentes und konkretes, durchgehend rechtes Programm stoßen. Auf einen Generalangriff gegen beinahe alle Errungenschaften linker, emanzipatorischer sozialer Bewegungen der letzten Jahrzehnte. Der baden-württembergische Landesvorsitzende Jörg Meuthen formulierte in seiner programmatischen Rede auf dem Stuttgarter Parteitag, das AfD-Programm sei der Weg „in ein Deutschland weg vom links-grün-rot verseuchten 68er-Deutschland, von dem wir die Nase voll haben.“ Dies zeigt sich von Eurorettung bis Migration, von Familien- bis Forstpolitik.
Im Vorfeld des Stuttgarter Parteitags hatte eine vorstandsnahe Programmkommission einen ausgearbeiteten Entwurf für ein Parteiprogramm vorgelegt. Dem entgegen standen nochmals drei Alternativentwürfe, die den Antrag der Programmkommission in puncto Wahnsinn – Stichwort: Verbot der Antifa – bisweilen nochmals deutlich überstiegen. Hinzu kamen weit über 1000 Seiten Änderungsanträge von lokalen AfD-Strukturen und Mitgliedern. Das fertige Programm entspricht in seiner wesentlichen Struktur dem Entwurf der parteivorstandsnahen Kommission. Andreas Speit konstatiert in seiner Auswertung des AfD-Programmparteitags, dass sich im Zweifelsfall „überwiegend die rechteren Positionen“ durchgesetzt haben. Appelle zu politischer Mäßigung oder Zurückhaltung standen dabei vor allem im Kontext (wahl-)strategischer Überlegungen (Wähler_innen nicht vergraulen) und waren eher nicht Ausdruck politischer Überzeugungen. Es stellt sich die Frage, ob die AfD nicht eigentlich gerade durch ihre Drastik, durch das ständige Überschreiten roter Linien erfolgreich ist. Das würde bedeuten, dass ihr Erfolg dem Gestus der Unversöhnlichkeit und der radikalen Differenz entspringt. So scheint es der AfD zu gelingen, sich im Moment massiver gesellschaftlicher Polarisierung eine dauerhafte Basis zu schaffen. Dies schließt die zukünftige Möglichkeit einer „realpolitischen Wende“, die der AfD reale Machtoptionen liefern könnte, keinesfalls aus.
Der Gestus des Radikalen und Unversöhnlichen wird getragen von einer Selbstinszenierung als historischem Ereignis. Im Rahmen einer Verfallsgeschichte repräsentativer Demokratie erscheint die AfD als Retterin in der Not durch die Wiedererweckung der gerechten Ordnung. Diese Motiv ist gewiss nicht neu – es ist das billige Standardnarrativ reaktionärer Bewegungen – wirkmächtig ist es dennoch. Und tatsächlich kann es auch eine gewisse Plausibilität beanspruchen: in der Tat spricht momentan einiges dafür, dass sich zum ersten Mal in der Geschichte der BRD eine Partei rechts der Union dauerhaft und überregional etablieren könnte. Ausgemacht ist das noch nicht, aber wer gerade darauf wettet, dass es der AfD ergehen wird, wie einst den Republikanern, geht zumindest ein hohes Risiko ein. In der Präambel des Parteiprogramms liest sich dieses historische Sendungsbewusstsein wie folgt: „In der Tradition der beiden Revolutionen von 1848 und 1989 artikulieren wir mit unserem bürgerlichen Protest den Willen, die nationale Einheit in Freiheit zu vollenden und ein Europa souveräner demokratischer Staaten zu schaffen, die einander in Frieden, Selbstbestimmung und guter Nachbarschaft verbunden sind. Wir setzen uns mit ganzer Kraft dafür ein, unser Land im Geist von Freiheit und Demokratie grundlegend zu erneuern und eben diesen Prinzipien wieder Geltung zu verschaffen.“
Pathos und revolutionäre Selbstinszenierung sind hier mehr als Zierrat und Wichtigtuerei. Tatsächlich möchten wir dafür argumentieren, dass zumindest Teile der AfD, wie anderer zeitgenössischer reaktionärer, rechter Bewegungen sich als Teil von etwas historisch Großem und Ereignishaften betrachten und aus dieser Selbstverortung reale Stärke beziehen. Das bedeutet, dass aller objektiven Lächerlichkeit zum Trotz, Mitglieder reaktionärer Bewegungen und Parteien subjektiv mobilisiert und gebunden werden, wenn sie sich nur ein kleines bisschen fühlen dürfen wie Karl der Große, Jeanne d‘Arc, Stauffenberg oder Helmut Kohl. Interessant am Zitat ist aber auch das Weggelassene: die Jahre 1918/19 – wohl die einzige Phase der deutschen Geschichte, die man, ohne offen zu lügen, als revolutionär bezeichnen könnte. Kein Wunder bei einer Partei in der pro-monarchische Freaks nicht unerheblich sind, die nachts davon träumen, wieder irgendeinen preußischen Großgrundbesitzer als deutschen Kaiser einsetzen zu dürfen. Doch, dass die AfD nicht nur die zahlreichen linken Revolutionsversuche und ihre kurzfristigen Erfolge in den Räterepubliken vergessen machen möchte – auch die Abschaffung der Monarchie, die Einführung parlamentarisch-repräsentativer Demokratie, die Versailler Friedensverträge oder die Einführung des Frauenwahlrechts sind nichts, woran man sich in diesen Kreisen allzu gerne erinnern möchte.
Auf diese Präambel folgt das Parteiprogramm der AfD in vierzehn thematischen Kapiteln. Unter anderem fordert die AfD darin eine nationalistische Finanz- und Wirtschaftspolitik, eine Volksabstimmung über einen Euro-Ausstieg, einen repressiven Kurs gegenüber Empfängerstaaten von Finanzhilfen, einen massiven Ausbau der Repressionsapparate und eine Erweiterung ihrer Befugnisse – denen sich andere Belange unterordnen sollen –, sie fordert stärkere Repression gegen jugendliche (vermeintliche) Straftäter_innen, schreibt bei den Polizeigewerkschaften ab und fordert Strafverschärfungen bei Angriffen aufs „Amtspersonen“, die Kriminalisierung psychisch kranker Menschen sowie schnellere Abschiebungen. Deutsche besorgte Bürger hingegen sollen von einem „liberalen Waffenrecht“ profitieren, nur so seien sie in der Lage sich zu wehren, außerdem sei es falsch, „unbescholtene Bürger“ zu kriminalisieren (zumindest wenn die nach AfD-Kriterien „deutsch“ sind). Weiterhin spricht sie vermeintlich kriminellen Menschen Rechte, etwa in Bezug auf Datenschutz ab, Kriminalität verhandelt sie als Konflikt zwischen „unbescholtener“ deutscher Mehrheitsgesellschaft und rassifizierten „Kriminellen“. Nicht weiter verwunderlich: Die deutschen Grenzen sollen geschützt werden, Migrant_innen durch Zäune und andere Barrieren abgehalten werden. Um deutsche Interessen innerhalb der Nato besser durchsetzen zu können soll die Bundeswehr ausgebaut werden, gleichzeitig werde es 70 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg Zeit die alliierten Truppen abzuziehen, damit Deutschland seine Souveränität zurückerlange. Die deutsche Waffenindustrie soll deutsch bleiben und kann sich im Gegenzug auf große Aufträge freuen und auch den Geheimdiensten soll es nicht an finanziellen Mitteln mangeln. Gleichzeitig soll die Wehrpflicht wieder eingeführt werden, was nicht nur dazu führen soll den gesellschaftlichen Status der Armee zu heben – durch den verpflichtenden Wehrdienst erwartet sich die AfD mehr intelligente Menschen („intelligentere Armee“) in der deutschen Truppe. Den Mindestlohn will die AfD – trotz einiger Einschränkungen – beibehalten, schließlich sieht sie in ihm einen Schutz „vor dem durch die derzeitige Massenmigration zu erwartenden Lohndruck“. In anderen Belangen ist die AfD weniger zimperlich: Kinderlose werden für die „niedrige Geburtenrate“ verantwortlich gemacht und auch Hartz-Vier-Empfänger_innen geht es an den Kragen. Dem Bekenntnis zur „traditionellen Familie“ aus Vater, Mutter, Kindern schenkt die AfD besonders viel Raum – wohl auch, weil sie damit alternative Entwürfe von Familie, Sexualität und Zusammenleben diskreditieren kann. Die Ehe ist auch die Institution die deutschen Frauen – insbesondere deutschen Akademikerinnen – zu mehr Kindern verhelfen soll, als Mittel gegen den „demographischen Wandel“ und die „Masseneinwanderung“. Weil Kinder alleine gegen die wahnhafte Projektion des „demographischen Wandels“ nicht ausreichen, sollen die Lebensarbeitszeit verlängert werden. Die Mutterrolle soll aufgewertet werden, solange es sich nicht um allein erziehende handelt, denn die AfD stellt sich „entschieden gegen Versuche von Organisationen, Medien und Politik, Einelternfamilien als fortschrittlichen oder gar erstrebenswerten Lebensentwurf zu propagieren. Der Staat sollte stattdessen das Zusammenleben von Vater, Mutter und Kindern durch finanzielle und andere Hilfen in Krisensituationen stärken“. Im Jargon sogenannter „Lebensschützer“, also antifeministischer Abtreibungsgegner_innen, spricht sie Frauen das Recht über Selbstbestimmung über ihren Körper ab. Die deutsche Sprache, die das „Zentrum unserer Identität“ bilden soll, muss vor den Gefahren des Multikulturalismus beschützt werden – besondere Gefahr gehe dabei von Anglizismen und gegenderter Sprache aus. Die historische Aufarbeitung des Nationalsozialismus soll zu Gunsten einer die „positiven, identitätsstiftenden Aspekte deutscher Geschichte“ umfassende Geschichtsbetrachtung aufgegeben werden. Denn größere Gefahren lauern überall: GEZ-Gebühren und Islam bedrohen Geldbeutel und Abendland. Für den Kampf gegen „den Islam“ hat die AfD auf den Folgeseiten eine Reihe von mehr oder weniger menschenverachtenden Vorschlägen parat. Gleichsam wie Vollverschleierung plant die AfD auch die Gender Studies abzuschaffen, deren Methoden sie für nicht wissenschaftlich hält. Überhaupt diese Studierenden: einerseits sind sie zu dumm – nur ein strikt gegliedertes Schulsystem kann hier Abhilfe schaffen –, anderseits studieren sie das falsche. Demgegenüber wünscht sich die AfD einen stärkeren Fokus auf vermeintlich verwertbare MINT-Fächer. Schüler_innen sollen zu Disziplin und Leistungsbereitschaft erzogen werden, was nur möglich sei „wenn den Lehrern die dazu geeigneten Maßnahmen zur Verfügung stehen und deren Durchsetzung nicht ständig hinterfragt wird“. Zu Versuchen nicht-heteronormativer Sexualpädagogik erklärt die AfD: „Eine einseitige Hervorhebung der Homo- und Transsexualität im Unterricht lehnen wir ebenso entschieden ab wie die ideologische Beeinflussung durch das „Gender-Mainstreaming“. Das traditionelle Familienbild darf dadurch nicht zerstört werden. Unsere Kinder dürfen in der Schule nicht zum Spielball der sexuellen Neigungen einer lauten Minderheit werden“. Schulische Inklusionsmassnahmen für Kinder mit Behinderungen sind der AfD zu teuer und obendrein „ideologisch“ motiviert, außerdem verhinderten sie Lernerfolge. Die Segregation durch Sonder- und Förderschulen möchte die AfD daher unbedingt beibehalten. Auf diese Tiraden folgen nochmals längere Passagen die gegen Gender Studies, Gender Mainstreaming und nicht-heteronormative Sexualpädagogik hetzen – ohne allerdings etwas wesentlich Neues zu sagen.
In den aktuellen Migrationsbewegungen nach Europa sieht sie „Völkerwanderung historischen Ausmaßes“ und fordert Repression und Abschottung wo es nur geht. Wir wollen an dieser Stelle nicht auf einzelne Widerlichkeiten eingehen, diese dürften nur allzu bekannt sein. Nur eine einzige Stelle sei hier zitiert, da sie programmatisch die Menschenverachtung und den aggressiven Zynismus der AfD auf den Punkt bringt: „Die überkommene Politik der großzügigen Asylgewährung im Wissen um massenhaften Missbrauch führt nicht nur zu einer rasanten, unaufhaltsamen Besiedelung Europas, insbesondere Deutschlands, durch Menschen aus anderen Kulturen und Weltteilen. Sie ist auch für den Tod vieler Menschen auf dem Mittelmeer verantwortlich“. Wirtschaftspolitisch argumentiert die AfD meist neoliberal, dennoch möchte sie Freihandelsabkommen wie TTIP verhindern, da dadurch die „deutsche Souveränität“ bedroht werde. Sie gibt sich mittelstandsfreundlich und fordert Entbürokratisierung zu Ungunsten von Lohnabhängigen. Deutsche Literatur soll nur von deutschen Unternehmen und Institutionen digitalisiert werden. Auch die steuerpolitischen Forderungen der AfD sind klar neoliberal – neben einem Rückbau der Staatsausgaben sollen Steuern gesenkt werden und Staatsschulden getilgt werden (Austerität). Besondere Sorgen macht sich die AfD um Einschränkungen im Bankgeheimnis und die vermeintlich drohende Abschaffung des Bargelds und überhaupt: Deutsche Goldreserven sollen zurück nach Deutschland. Im Abschnitt zu Umweltschutz erhebt die AfD Zweifel an der globalen Klimaerwärmung, die sie an anderer Stelle noch für weltweite Migrationsbewegungen verantwortlich macht. Der CO2-Ausstoß soll nicht vermindert oder reglementiert werden, vielmehr lobt die AfD dessen positiven Effekte für das Pflanzenwachstum. Auch mit erneuerbaren Energien will sich die AfD nicht anfreunden, schließlich sind Windräder Todesfallen für Vögel – ersatzweise sollen die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert werden.
Es wird sich zeigen, welche Bedeutung dem aktuellen Parteiprogramm im tagespolitischen Handeln der AfD zukommen wird und inwiefern sich alle Strömungen innerhalb der AfD dem Programm verpflichtet fühlen werden, dennoch hat es in der aktuellen Situation eine große Bedeutung für den fortschreitenden Konstituierungs-, Etablierungs- und Normalisierungsprozess der AfD. Es dient als einigendes Moment unterschiedlicher Strömungen, die sich in der AfD als Sammlungsbewegung zusammen gefunden haben. Zugleich manifestiert sich in ihm aber auch final der Erfolg des rechten Parteiflügels gegenüber der neoliberalen Gründungsgeneration der AfD. Dies lässt sich an den Stellen im Parteiprogramm erkennen, an denen neoliberale Politiken mit rassistischen und autoritaristischen Einstellungen in Konflikt geraten. Zeigen lässt sich dies z.B. an der Frage des Mindestlohns. Während dieser den Neoliberalen ein Graus ist, wird er von der AfD prinzipiell befürwortet, weil in ihm ein Mittel gegen die Partizipation von Migrant_innen und Flüchtlingen am deutschen Arbeitsmarkt gesehen wird. Ähnliches zeigt sich in der Frage von Freihandelsabkommen – diese bedrohen die deutsche Souveränität und das Vorrecht Herr im eigenen Haus zu sein. Wenn Rassismus und Autoritarismus durchgehend stärker wiegen als neoliberale Logiken, dann hat dies auch Konsequenzen für linke Analysen der AfD. So lässt hier ein Argument gegen einen sogenannten „Nützlichkeitsrassismus“ als zentrales Merkmal der AfD finden: Der Rassismus der AfD – wie er sich im Parteiprogramm widerspiegelt – klammert die Frage ökonomischer Vernutzbarkeit weitestgehend aus und fokussiert die völkisch-biologistisch bestimmte Trennungslinie zwischen Deutschen und Nicht-Deutschen/Anderen – er ist in seiner bestimmenden Form völkisch. Am ausgeprägtesten ist ein solcher Kurs sicherlich im Flügel um Björn Höcke, der sich im Vorfeld des Parteitags für eine große Breite politischer Positionen innerhalb der AfD und entgegen der artikulierten Position der AfD-Vorsitzenden Petry gegen eine Abgrenzung gegenüber noch weiter rechts stehenden Bewegungen ausgesprochen hatte.
Antifa heißt…
Wenn man diese Analyse der AfD als alle Gesellschaftsbereiche umfassendes rechtes Projekt betrachtet, dann hat das umfassende Konsequenzen für die politische Strategie im Kampf gegen die AfD. Die Antifapraxis der letzten Jahrzehnte hat sich meist punktuell gegen einen mehr oder weniger marginalisierten Gegner gestellt – gegen einzelne Nazimobilisierungen, meist zu konkreten Themen (Geschichtsrevisionismus: Wehrmachtsausstellungen, Dresden, Wunsiedel, Rassismus, Antisemitismus…) Dies hat sich mit Pegida und der AfD massiv gewandelt. Bereits Pegida erhöhte die Taktzahl rechter Mobilisierung so sehr, dass klassische, aufwendige Antifagegenstrategien nicht mehr zogen, gleichzeitig konnte – zumindest lokal – die gesellschaftliche Isolation, die klassische Neonazis und rechte Kleingruppen noch erfuhren, aufgelöst werden. Mit der AfD haben wir es nun mit einem bundesweit handlungsfähigen, finanzstarken und parlamentarisch und medial verankerten Akteur zu tun. Hier müssen neue Strategien her. Aber auch der gesellschaftliche Kontext in dem diese antifaschistische Praxis stattfindet hat sich massiv gewandelt: rechte und rassistische Positionen sind in einem bis vor einigen wenigen Jahren ungeahnten Ausmaß gesellschaftsfähig geworden. Auf diese Probleme muss die antifaschistische Linke Antworten finden.
Optimistischere Linke würden an dieser Stelle wohl verkünden, dass auch dieser Situation eine Chance innewohnt und tatsächlich ist es nicht falsch anzuerkennen, dass die gesellschaftliche Polarisierung insbesondere in Fragen von Migration und Rassismus auch dazu geführt hat, dass sich mehr Leute in antirassistischen und pro-migrantischen Bewegungen und Initiativen engagieren. Der „kurze Sommer der Migration“ wäre nicht auf so viel Support gestoßen, wenn dies nicht auch die (subjektive) Möglichkeit für viele gewesen wäre, sich von der Pegidahetze des vorangegangenen Winters abzugrenzen. Der Horizont antifaschistischer Kämpfe erweitert sich und muss sich erweitern, der politische Gegner ist nicht mehr die lokale Nazi-Kameradschaft oder der NPD-Ortsverband, sondern Akteure viel weitreichender gesellschaftlicher Relevanz. Das impliziert allerdings nicht notwendig, dass klassisch Antifaaktionen, wie das Ver- und Behindern von Infoständen, Kundgebungen und Demonstrationen, das Vorgehen gegen Infrastruktur und Rückzugsräume, die lokale Skandalisierung oder das Abspenstigmachen von Bündnispartner_innen passé sind – im Gegenteil, es bedarf nur mehr denn je einer weiterreichenden Perspektive antifaschistischer Kämpfe. Wie diese aussehen könnte, sollte auch Gegenstand der Debatte sein. Eines jedoch scheint klar: In einem bloßen Abwehrkampf werden wir nichts reißen.
In der Zeitung Analyse und Kritik wird seit einigen Monaten eine Debatte um linke Strategien gegen den Vormarsch der AfD geführt. In der Mai-Ausgabe schlugen zwei Leute aus der Interventionistischen Linken vor, den Antifeminismus der AfD ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu stellen und dahingehend eine stärkere Verknüpfung antifaschistischer und feministischer Kämpfe zu forcieren. Aus dieser Perspektive zeigen sich Aspekte, die im aktuellen Antifa-Mainstream zwar nicht ungenannt bleiben, auf die aber stärker fokussiert werden sollten. So betonten sie u.a. die Verzahnungen von AfD-Politiker_innen, etwa Beatrix von Storch, mit der Lebensschützerbewegung oder den Demos für Alle. Und in der Tat ziehen sich Fragen von Geschlecht und Begehren wie ein roter Faden durch Programmatik und Politik der AfD. In unserem Beitrag für die August-Ausgabe betonten wir, dass wir hingegen in einer genderheoretisch unterfütterten Kritik der AfD kein zweites Paradigma neben nationalismus- und rassismuskritischen Zugängen sehen. Vielmehr ließe sich die nationalistische und rassistische Mobilmachung der AfD erst hierdurch gründlicher analysieren, da normative Vorstellungen von Geschlecht und Begehren hier untrennbar mit Ideen nationaler Erweckung und dem reaktionären Bewahren des Status Quo verknüpft sind. Dafür lohnt es sich nochmals einen Blick in das Programm der AfD zu werfen: Individuen, insbesondere begehrenden und mehr noch begehrenden weibliche Individuen begegnen wir hier einzig als Negativfolie. Die kleinste Einheit gesellschaftlichen Zusammenhalts ist die Familie, aus diesem Grund auch die massive Stigmatisierung alleinerziehender Eltern, d.h. in der Mehrzahl allein erziehender Frauen. Hintergrund aller familienpolitischen Position der AfD ist ein demographischer und rassistischer Ordnungswille. Dies zeigt sich etwa wenn die AfD unter dem Stichwort einer „Willkommenskultur für Neu- und Ungeborene“ Frauen das Selbstbestimmungsrecht über ihren eigenen Körper abspricht und eine Rekriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen fordert. In der zugrunde liegenden Logik bleibt gar kein Platz für individuelle Rechte, da Körper gar nicht individuell gedacht werden – sie sind nur Teil des größeren Ganzen, des Volkskörpers, dessen Interessen sie zu dienen haben. Diesen Volkskörper aber sieht die AfD bedroht durch Migration und vermeintlich höhere Geburtenrate nicht-deutscher/nicht-europäischer Frauen, aus diesem Grund auch die rhetorische Anknüpfung und Resignifizierung der Floskel der „Willkommenskultur“ für Flüchtlinge und Migrant_innen. Rassistische Politiken der Reinhaltung des bedrohten eigenen Volkskörpers fordern die Verfügungsgewalt über die gebärfähigen Körper der eigenen Gruppe. Dieselbe Logik zeigt sich auch den rassistischen Debatten um die sexistischen Übergriffe an Silvester in Köln und anderen Städten: Deutsche Männer sollen hier deutsche Frauen gegen die fremde Bedrohung beschützen – Schutz meint hier nichts als Verfügungsgewalt. All diese Motive sind gewiss nicht neu, es sind die grundlegenden patriachalen Motive des völkischen Rassismus. Ähnliche Analysen der Programmatik und Politik der AfD ließen sich leicht auch an Fragen der Bedrohung durch offene Homosexualität, durch die Sichtbarmachung alternativer familialer Strukturen, den Hass auf Gender Studies und Gender Mainstreaming oder die Thematisierung von Transsexualität durchführen. Es zeigt sich also, welche inhaltliche, aber auch organisatorische, Relevanz antifeministische Rechte in der AfD haben und es ist ein leichtes zu begreifen, welche Angebote die AfD den prekarisierten oder sich von Prekarisierung bedroht wähnenden ‚angry white men‘ machen kann.
Der Antifeminismus der AfD steht also nicht für sich neben dem Rassismus und dem Wunsch nach Abschottung und Reinhaltung des Eigenen steht, sondern, ist an dieser Stelle untrennbar miteinander verknüpft. Auch wenn es vielleicht nicht leicht ist, diese Erkenntnisse unmittelbar in politische Kampagnen umzusetzen, gilt es im Kampf gegen die AfD den Horizont linksradikaler antirassistischer wie feministischer Kritik zu erweitern, statt – nicht zuletzt vor dem Hintergrund erfolgreicher rechter Diskursstrategien – Antisexismus und Antirassismus gegeneinander auszuspielen.
Gemeinsam mit einem Haufen Leute haben wir es uns im Rahmen der Kampagne „Nationalismus ist keine Alternative“ auf die Fahnen geschrieben, den Akteuren der Abschottung auf die Pelle zu rücken. Wenn wir die AfD als einen Akteur der Abschottung begreifen, dann ist sie dies vor allem mittelbar: dadurch, dass sie – ähnlich wie Pegida – in der Lage ist den gesellschaftlichen Diskurs über Flucht und Migration nach rechts zu drehen, Druck auf bürgerliche Parteien auszuüben bzw. rassistischen Akteuren innerhalb dieser Parteien Steilvorlagen zu liefern. Dies lässt sich nicht zuletzt am Zusammenspiel von AfD und CSU ganz wunderbar beobachten. Die Frage, ob die AfD überhaupt der richtige Adressat einer linksradikalen Kritik an Rassismus und repressivem Grenzregime sein sollte, haben wir – und nicht nur wir – uns aus nachvollziehbaren Überlegungen längst beantwortet. Na klar! Aber ist sie es allein? Wir müssen uns fragen, welchen Zweck es hat, gemeinsam mit SPD und Grünen gegen die AfD auf die Straße zu gehen, wenn es doch die SPD ist die die ständigen Verschärfungen des Asylrechts forciert und vollzieht und die Grünen das Zünglein an der Waage sein werden, wenn es um die Frage geht, ob die Zahl angeblich „sicherer Drittstaaten“ von Bundesrat beschlossen werden wird. Eine Kampagne gegen die Akteure der Abschottung muss sich unseres Erachtens nach gegen die AfD richten, da sie Produkt und Verstärkung der aktuellen Abschottungspolitik ist. Die AfD ist drauf und dran die gesellschaftlichen Verhältnisse weiter nach rechts zu verschieben und damit für all jene, die ihr Recht auf globale Bewegungsfreiheit und Bleiberecht faktisch einfordern den Preis noch weiter in die Höhe zu treiben. Ein Kampf gegen die Akteure der Abschottung der bei der AfD stehen bleibt und die Akteure die diese Abschottung faktisch forcieren und vollziehen außen vorlässt, ist allerdings nicht dazu geignet, den gesellschaftlichen Verhältnissen gründlich in die Parade zu fahren. Und das wäre doch das mindeste.
161 – Antifaschistisches Infoheft München #09