Die gesellschaftlichen Verhältnisse ins Wanken bringe

Der Nationalismus und der Rassismus der AfD lassen sich erst durch gendertheoretisch unterfütterten Kritik umfassend begreifen

Während die Debatte um Strategien gegen die AfD läuft, haben wir bereits vorgelegt: Gemeinsam mit unseren Genoss_innen aus dem …ums Ganze!-Bündnis haben wir Ende letzten Jahres die Kampagne Nationalismus ist keine Alternative! (NikA) initiiert. Ziel war und ist es, einen gemeinsamen Aktionsrahmen für antinationale, (post-)autonome und undogmatische radikale Linke zu schaffen. Ende Januar kamen über 400 Menschen zur NikA-Aktionskonferenz in Frankfurt am Main zusammen. Es folgten ein bundesweites Aktionswochenende gegen die AfD und eine bundesweite Mobilisierung gegen den AfD-Bundesprogrammparteitag am 30. April und 1. Mai in Stuttgart. Damit einher gingen unzählige lokale Vernetzungs- und Organisierungsprozesse.

Unser gemeinsames Ziel dort: den Bundesprogrammparteitag verhindern. Gemessen an diesem ambitionierten Ziel waren die Proteste ein Reinfall. Ein massives Polizeiaufgebot, das selbst uns repressionsgeplagte bayerische Linke noch überraschen konnte, machte deutlich, wo die grün-roten Funktionseliten im Südwesten stehen und was in Zukunft von ihnen noch zu erwarten sein dürfte. Und auch wenn hier weder Ort noch Zeit ist, eine umfassende Auswertung der Proteste in Stuttgart zu leisten, möchten wir betonen: Die aktionsorientierte Zusammenarbeit von NikA und klassisch antiimperialistischen Spektren funktionierte (überraschend) gut und solidarisch, während sich weite Teile der Interventionistischen Linken (IL) oder auch der Gruppen, die sich momentan im Rahmen des Bündnisses Aufstehen gegen Rassismus organisieren, zu unserem großen Bedauern wenig in die Proteste eingebracht haben.

Im Rückblick auf Stuttgart geht es uns nicht um ein beleidigtes Sollte, Hätte, Könnte. Es geht uns darum, dafür zu argumentieren, dass die politisch-strategische Entscheidung, den Parteitag zu einem Kristallisationspunkt antirassistischer und antifaschistischer Praxis zu machen, die richtige war, gerade vor dem Hintergrund des dort beschlossenen Parteiprogramms. Die Analyse des Programms und seiner Entstehung liefert den Rahmen für die Debatte um linke Strategien gegen die AfD – jenseits von Allgemeinplätzen und festgefahrenen Glaubenssätzen. Für uns ist klar: Der Kampf gegen die AfD, als einem der zentralen Akteure rechter Hegemoniepolitik und handfester Gewalt, ist einer, der die (radikale) Linke als ganze angeht und alle Bereiche linker Praxis umfassen muss.

Andreas Speit konstatiert in seiner Analyse des Stuttgarter Parteitags, dass sich in Abstimmungen »überwiegend die rechteren Positionen durchgesetzt haben«. (der rechte rand Mai/Juni 2016) Anders als in denjenigen Analysen, die vor allem die medialen Strategien beleuchten, wird deutlich, dass es sich bei der AfD nicht um eine populistische Ein-Punkt-Bewegung handelt. Es ist vielmehr ein Projekt mit einem konsistenten ideologischen Fundament und einen gesamtgesellschaftlichen Umgestaltungsanspruch.

Genau darin liegt die Gefahr: Besondere Aufmerksamkeit verdient die antilinke Rhetorik, wie sie der gastgebenden baden-württembergische Landesvorsitzende Jörg Meuthen auf dem Bundesparteitag bediente. Das AfD-Programm sei der Weg »in ein Deutschland weg vom links-grün-rot verseuchten 68er-Deutschland, von dem wir die Nase voll haben«. Diese Projektion einer Linken, die einen direkten Draht vom besetzten Haus ins Bundeskanzleramt zu besitzen scheint, dient zunächst dazu, eine Eigengruppe zu konstituieren. Rechte Identitäten gründen seit jeher in Gleichzeitigkeit von Ohn- und Allmacht – in der Vorstellung, einer unbezwingbaren Macht ausgeliefert zu sein und diese Macht durch Standhaftigkeit und Willenskraft heroisch zu durchbrechen.

Dieser Gestus des Radikalen und Unversöhnlichen wird getragen von einer Selbstinszenierung als historischem Ereignis. Im Rahmen einer Verfallsgeschichte repräsentativer Demokratie erscheint die AfD als Retterin in der Not durch die Wiedererweckung der gerechten und natürlichen Ordnung. Auch wenn diese Selbstzuschreibung einer historischen Mission bisweilen lächerlich wirken mag: Unabhängig von der Frage ihrer realen Bedeutung kann die AfD ihrer Anhängerschaft das subjektive Gefühl anbieten, Teil eines geschichtsträchtigen Kampfes gegen die linke Übermacht zu sein. Auffällig ist dabei auch, dass die AfD oftmals Themen in den Vordergrund stellt, bei denen progressive soziale Bewegungen – wenn auch meist in bescheidenem Umfang und nicht immer widerspruchsfrei – erfolgreich waren: Emanzipation und teilweise rechtliche Gleichstellung nicht-heteronormativer Beziehungs- und Lebensentwürfe, Emanzipation und gesellschaftliche Teilhabe von Frauen, Anerkennung von Migration als Realität moderner Gesellschaften, Teilhabemöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen, Ausstieg aus der Atomenergie etc.

Das reaktionäre Bewahren des Status quo

Während Sebastian Friedrich in der AfD ein Bündnis aus abstiegsbedrohten Mittelschichten, Kleinbürgertum und Teilen der Arbeiterschaft sieht, (ak 615) stellen dem Anna Berg und Tanya Zorn eine Analyse der AfD als klassenübergreifendes Projekt des weißen deutschen Patriarchats entgegen und fordern ein stärkeres Zusammendenken von Antifaschismus und Feminismus. (ak 616) So plausibel beide Ansätze zunächst erscheinen, wirklich interessant wäre es, ihre Verknüpfung zu denken: Wie hängen Prekarität bzw. Prekarisierungsangst und Geschlecht zusammen? Spannend wird es auch, wenn das Verhältnis von Rassismus und Antifeminismus am konkreten Material geprüft wird: Fragen von Geschlecht und Begehren ziehen sich wie ein roter Faden durch die Programmatik der AfD.

Anders als die Genoss_innen von der IL sehen wir in einer gendertheoretisch unterfütterten Kritik der AfD kein zweites Paradigma neben nationalismus- und rassismuskritischen Zugängen – im Gegenteil: Die nationalistische und rassistische Mobilmachung der AfD lässt sich erst dadurch umfassender begreifen. Normative Vorstellungen von Geschlecht und Begehren sind hier untrennbar verknüpft mit Ideen nationaler Erweckung und dem reaktionären Bewahren des Status quo. Individuen, insbesondere begehrenden und mehr noch begehrenden weiblichen Individuen begegnen wir im Programm der AfD nur als Negativfolie. Die kleinste Einheit gesellschaftlichen Zusammenhalts ist die Familie – daher auch die Stigmatisierung alleinerziehender Eltern, das heißt in der Mehrzahl alleinerziehender Frauen.

Hintergrund der familienpolitischen Position der AfD ist ein demographischer und rassistischer Ordnungswille. Dies zeigt sich etwa, wenn die AfD unter dem Stichwort einer »Willkommenskultur für Neu- und Ungeborene« Frauen das Selbstbestimmungsrecht über ihren eigenen Körper abspricht und eine Rekriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen fordert. In der zugrunde liegenden Logik bleibt kein Platz für individuelle Rechte, da Körper gar nicht individuell gedacht werden – sie sind nur Teil des größeren Ganzen, des Volkskörpers, dem sie zu dienen haben. Rassistische Politiken der Reinhaltung des bedrohten eigenen Volkskörpers fordern die Verfügungsgewalt über die gebärfähigen Körper der eigenen Gruppe.

Diese Motive sind gewiss nicht neu, es sind die grundlegenden patriarchalen Motive des völkischen Rassismus. Es ist ein Leichtes zu begreifen, welche Angebote die AfD dabei den prekarisierten oder sich von Prekarisierung bedroht wähnenden »angry white men« machen kann. Dem gilt es Rechnung zu tragen, auch wenn wir, anders als Berg und Zorn, nicht davon ausgehen, dass dem gesellschaftlichen Status quo privilegienkritisch beizukommen ist: Nicht durch Aufgabe eigener »Priviligien« (die oft genug gar keine Privilegien sind, sondern Mindeststandards, die anderen vorenthalten werden) verändern sich gesellschaftliche Verhältnisse zum Besseren, sondern einzig durch die kollektive Aneignung gesellschaftlicher Ressourcen und Solidarität in solchen Kämpfen um Aneignung.

In der Gleichzeitigkeit von Rassismus und patriarchalem Verfügungsanspruch zeigt sich die hegemoniale Form des Rassismus der AfD: Es ist ein völkischer Rassismus. Interessant sind auch jene Punkte, an denen neoliberale Politiken mit rassistischen und autoritaristischen Einstellungen in Konflikt geraten, etwa an der Frage des Mindestlohns. Während dieser den Neoliberalen ein Graus ist, wird er von der AfD prinzipiell befürwortet, weil in ihm ein Mittel gegen die Partizipation von Flüchtlingen am deutschen Arbeitsmarkt gesehen wird. Ähnliches zeigt sich in der Frage von Freihandelsabkommen – denn diese bedrohen die deutsche Souveränität und das Vorrecht, Herr im eigenen Haus zu sein. Wenn Rassismus und Autoritarismus durchgehend stärker wiegen als neoliberale Logiken, dann sehen wir darin ein starkes Argument gegen die These der Zentralität eines Nützlichkeitsrassismus der AfD.

Wenn man die AfD als ein alle Gesellschaftsbereiche umfassendes rechtes Projekt betrachtet, dann hat das umfassende Konsequenzen für die politische Strategie im Kampf gegen sie. Die Antifapraxis der letzten Jahrzehnte hat sich stark gewandelt. Bereits PEGIDA erhöhte die Taktzahl rechter Mobilisierung so sehr, dass klassische Antifagegenstrategien nicht mehr zogen. Strategien der Marginalisierung, die gegen rechte Kleingruppen noch erfolgreich waren, greifen gegen aktuelle rechte Mobilisierungen kaum. Insbesondere mit der AfD haben wir es nun mit einem bundesweit handlungsfähigen, finanzstarken, parlamentarisch und medial verankerten Akteur zu tun.

Wie können wir als radikale Linke punkten?

Allerdings hat die gesellschaftliche Polarisierung in Fragen von Migration und Rassismus auch dazu geführt, dass sich mehr Leute in antirassistischen und pro-migrantischen Bewegungen und Initiativen engagieren. Der »kurze Sommer der Migration« wäre nicht auf so viel Support gestoßen, wenn dies nicht auch die (subjektive) Möglichkeit für viele gewesen wäre, sich von der PEGIDA-Hetze des vorangegangenen Winters abzugrenzen. Der Horizont antifaschistischer Kämpfe erweitert sich und muss sich erweitern. Die alles entscheidende Frage darin lautet aber: Wie können wir es schaffen, rechte Bewegungen effektiv zurückzudrängen und dabei gleichzeitig als radikale Linke zu punkten?

Aus unserer Sicht ist dabei Selbstorganisierung ein zentrales Element. Diesen Ansatz verfolgen wir mit der Kampagne Nationalismus ist keine Alternative!, die als offene Mitmachkampagne mit linksradikalem Anspruch konzipiert ist. Ziel dabei ist es, vielfältigen lokalen Kämpfen gegen rechte Mobilisierung und Abschottungspolitik einen gemeinsamen Aktionsrahmen zu bieten. In den letzten Monaten hat sich mit Aufstehen gegen Rassismus ein Bündnis gegen die AfD gebildet, das von der Bundesfamilienministerin bis zu unseren Genoss_innen von TOP B3RLIN breite Unterstützung erfährt.

Sebastian Friedrich hat bereits zu Beginn der Debatte in ak darauf hingewiesen, dass ein solches Bündnis für die radikale Linke zum Verlustgeschäft zu werden droht. Denn auch wenn die AfD den Soundtrack zu rassistischer Abschottungspolitik und allgemeiner Menschenfeindlichkeit liefert, den Cast bilden meist SPD, Grüne und in Nebenrollen auch die Linkspartei. In ihrer Replik betont Julia Meier, die Beteiligung von Akteuren links der Sozialdemokratie sei geeignet, »Brüche unter den Herrschenden zu vertiefen« (ak 617) – wir da sind mehr als skeptisch. Wenn Linke jenseits der Sozialdemokratie eine solche Strategie versuchen wollen – und sie auf inhaltlicher Analyse und nicht auf trotzkistischer Tradition gründen wollen -, dann sollten sie Kriterien aufstellen, anhand derer Erfolg und Misserfolg diskutierbar wird.

Für bundesweite Projekte wie Aufstehen gegen Rassismus müssen dabei grundsätzlich andere Maßstäbe gelten als für lokale antifaschistische Bündnisse. Vorschlag zur Güte: Ob im autonomen Zentrum oder auf der Bündnisdemo: Die radikale Linke muss offensiv und selbstbewusst eigene durchdachte und radikale Inhalte und gesellschaftliche Alternativen liefern. Die AfD ist nicht das Mittel, mit dem »die Herrschenden« die Linke klein halten, sie ist Ausdruck gesellschaftlicher Verhältnisse, die es zu überwinden gilt. Ein Pragmatismus, der seine Grenzen nicht kennt, taugt ebenso wenig wie pseudoradikaler Rückzug dazu, die gesellschaftlichen Verhältnisse ins Wanken zu bringen – und um nichts weiter muss es gehen.

in ak 618