Redebeitrag auf der Antifa-Demo am 16. Januar 2017:
„Der NSU-Prozess am Oberlandesgericht München wird voraussichtlich – nach rund 4 Jahren – in diesem Jahr ein Ende finden. Zeit, das Thema NSU endlich wieder auf die Tagesordnung zu setzen!
Erzählt man die Geschichte des NSU kommt man nicht umhin, den Rassismus der deutschen Behörden und der deutschen Gesellschaft zu thematisieren. Während Neonazis 7 Jahre lang mordend durch Deutschland zogen, galten den Medien und den Ermittler_innen lange die Betroffenen selbst als die Schuldigen. Die zynischen Bezeichnung „Dönermorde“ oder der Name der Sonderkommision „Bosporus“ sprechen für sich. Die Polizei schloss von Anfang an rassistische Hintergründe der Morde aus, behandelte die Opfer wie Täter und ermittelte in Richtung organisierter „Ausländer-Kriminalität“. Die Hinterbliebenen und Betroffenen erlebten dies als „Anschlag nach dem Anschlag“, als Fortführung der rassistischen Angriffe.
In diesem Zusammenhang muss auch die Rolle des Verfassungsschutzes kritisch aufgearbeitet werden. Seit dem Auffliegen des NSU im November 2011 kamen allerlei Informationen und neue Erkenntnisse über dessen Rolle während der Morde, Banküberfälle und den Ermittlungen ans Tageslicht. Während in der linken und kritischen Öffentlichkeit die einen in Verschwörungstheorien aufgingen, reagierten andere im Gestus des „wir wussten es doch schon immer“ mit Zynismus. Viele blieben jedoch (bis heute) sprachlos.
Was sich ausgehend von den bisherigen Erkenntnissen jedoch sagen lässt ist, dass staatliche Behörden und der Verfassungsschutz zumindest über viele der Aktivitäten und die Strukturen der damaligen Neonaziszene Bescheid wussten und über Jahre im unmittelbaren Umfeld des NSU V-Leute hatte. Der Skandal ist dabei nicht, dass der Verfassungsschutz die Morde und Anschläge aufgrund mangelnder Informationen nicht verhindern konnte, sondern diese trotz der teilweisse umfassenden Kenntnisse geschehen ließ.
Die Mörder des NSU wurden in einer Zeit der rassistischen Angriffe und eines allgemeinen politischen Rechtsrucks politisiert. Auch wenn sich eine Analogie zu der Situation der 90er Jahre nicht ohne weiteres ziehen lässt: auch aktuell ist rechter Terror allgegenwärtig. Das gesellschaftliche Klima führt auch heute wieder zu brennenden Flüchtlingsunterkünften und einem erneuten Anstieg rassistischer Gewalt. Wenn dabei durch Pegida, AfD & Co. die Grenzen zwischen Neonazis und und Menschen aus der sogenannten „Mitte der Gesellschaft“ verschwimmen, Neonazis und Rechtspopulist_innen regelmäßig in Talkshows Aufmerksamkeit erhalten, oder die etablierten Parteien von der CSU bis zu den Grünen Asylrechtsverschärfungen und andere Schweinereien durchsetzen, trägt das zur Normalisierung und breiterer Akzeptanz rechter Politik bei. Eine Politik und eine Gesellschaft, die nicht gewillt ist über 900 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte alleine im vergangenen Jahr als rechten Terror anzuerkennen, dabei aber rassistische Gewalt als Ausdruck von Ängsten besorgter Bürger und „Kritik“ behandelt, bietet den Nährboden für neue aus dem Untergrund operierende Terrorzellen.
All die offenen Fragen über den gesellschaftlichen und strukturellen Rassismus oder die Rolle des Staates wurden und werden im Prozess nicht geklärt. Vielmehr wurden Bestrebungen, die tatsächlich um umfassende Aufklärung bemüht waren konsequent ignoriert oder abgewürgt.
Nach Einschätzung von Prozessbeobachter_innen wird der Prozess aller Voraussicht nach im Frühjahr zu Ende gehen. Dies sollte Anlass sein, den NSU-Komplex mit all den offenen Fragen, die im Prozess kein Gehör gefunden haben wieder zum Gegenstand linker und antifaschistischer Auseinandersetzung zu machen!
Zum Prozessende wird es wieder vielfältige Aktionen, Veranstaltungen und eine Großdemonstration geben. Haltet Augen und Ohren offen für weitere Infos!“