Mehr als 40 Jahre

Kontinuitäten rechten Terrors in Deutschland                     
Das Jahr 1980 markiert einen brutalen Kulminationspunkt rechter Gewalt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. In diesem Jahr entlud sich das gefährliche Potential der neonazistischen Strukturen, die sich seit dem Ende des Nationalsozialismus formiert hatten. Zentrale Ereignisse von 1980 stehen exemplarisch für Kontinuitäten im Umgang mit rechtem Terror, die bis heute fortbestehen. 2020 jähren sich die tödlichen Anschläge auf Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân in der Hamburger Halskestraße, auf das Oktoberfestin München und auf Shlomo Lewin und Frida Poeschke in Erlangen zum 40. Mal. Das Gedenken an sie hat auch deshalb besondere Aufmerksamkeit verdient, weil der gegenwärtig so wichtige Kampf gegen rechten Terror nur im Bewusstsein seiner langen Geschichte geführt werden kann.

Ungeschriebene Geschichte des Terrors
Am Abend des 26. September 1980 detonierte ein Sprengsatz in einem Papierkorb am Eingang des Münchner Oktoberfests. In Folge der Explosion starben 13 Menschen, unter ihnen auch der Neonazi Gundolf Köhler, der die Bombe gelegt hatte. Über 200 Menschen wurden zum Teil schwer verletzt. Es war der verheerendste Terroranschlag in der bundesdeutschen Geschichte. Der Täter hatte unter anderem Verbindungen zur Wehrsportgruppe Hoffmann (WSG), einer 1973 gegründeten, paramilitärischen Neonazi-Organisation mit Hauptstützpunkt in Bayern, der bis zu ihrem Verbot Anfang 1980 etwa 400 Mitglieder angehörten. Nachdem der neonazistische Hintergrund Köhlers bekannt wurde, erklärten ihn CDU/CSU-Politiker*innen schnell zum Einzeltäter. Die darauf folgenden Ermittlungen der Bundesanwaltschaft und des bayerischen LKA wurden nach zwei Jahren eingestellt ohne die entscheidenden Fragen nach der Herkunft der Bombe, dem Motiv für das Attentat und der Rolle der Wehrsportgruppe Hoffmann ansatzweise aufgeklärt zu haben. Trotz Zeug*innenaussagen, die auf weitere Tatbeteiligte verwiesen, und anderer Indizien, wie einer nicht zuordenbaren abgetrennten Hand am Tatort, folgten die Behörden der Einzeltäterthese. So konnte schnell ein Schlussstrich unter den Anschlag gezogen werden. Intensive Recherchen engagierter Journalist*innen drängten die Behörden ob der vielen ungeklärten Fragen zu einer Wiederaufnahme der Ermittlungen, wozu es schließlich 2014 kam. Abgesehen von der nun offiziellen Einordnung des Anschlags als „rechtsextremistisch“, haben jedoch auch diese Ermittlungsbestrebungen keine neuen Erkenntnisse erbracht und wurden mittlerweile wieder eingestellt. Wichtige Beweise, die zur Aufklärung hätten dienlich sein können, waren längst vernichtet worden, die abgetrennte Hand aus den Asservaten verschwunden und Geheimdienstakten werden weiterhin zurückgehalten. Nur 3 Monate nach dem Oktoberfestattentat, am 19. Dezember 1980, wurden in Erlangen Shlomo Lewin und seine Lebensgefährtin Frida Poeschke Opfer eines weiteren rechtsterroristischen Anschlags. Uwe Behrendt, Burschenschafter und hochrangiges Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann erschoss sie aus antisemitischen Motiven in ihrem Haus. Unmittelbar nach der Tat konzentrierten sich die Ermittlungen vor allem auf das persönliche Umfeld der Ermordeten. Auch die Presseberichterstattung fokussierte die Opfer und war von diffamierenden Spekulationen geprägt – beispielsweise über eine angeblich „schillernde Vergangenheit“ Lewins, mutmaßliche Verbindungen zum israelischen Geheimdienst oder Zerwürfnisse innerhalb der Nürnberger jüdischen Gemeinde. Ermittlungen in Richtung der rechten Szene, insbesondere der unweit von Erlangen ansässigen WSG, vor der Antifaschist*innen und auch Shlomo Lewin immer wieder gewarnt hatten, wurden von den Ermittlungsbehörden hingegen lange vernachlässigt. So hatte Behrendt genug Zeit, um mit Hilfe seines Anführers Karl-Heinz Hoffmann Beweismittel wie etwa die Tatkleidung zu vernichten und der behördlichen Verfolgung durch eine Flucht in den Libanon zu entgehen. Dort war er in der Auslandsorganisation der WSG tätig bis er 1981 Selbstmord begangen haben soll. Wie auch der beim Oktoberfestattentat verstorbene Köhler konnte Behrendt somit nie zu seiner Tat vernommen werden. Trotz vorhandener Indizien wurde die Anklage wegen Beihilfe zum Mord gegen Karl-Heinz Hoffmann und seine Lebensgefährtin Franziska Birkmann, deren Brille am Tatort gefunden wurde, nach einem langen Prozess fallen gelassen. Uwe Behrendt gilt damit in Übereinstimmung mit Hoffmanns Aussagen offiziell als Einzeltäter. Hoffmann selbst wurde wegen anderer Delikte im Zusammenhang mit der WSG-Ausland zu 9 Jahren Haft verurteilt und nach zwei Dritteln der Haftstrafe wieder freigelassen. Damit wurde auch unter dieses Attentat ohne vollständige Aufklärung ein Schlussstrich gezogen. Obwohl es sich bei dem Anschlag in Erlangen um den ersten offenkundig von einem Neonazi begangenen antisemitischen Mord nach 1945 handelte, geriet dieser in Folge zunehmend in Vergessenheit. Dazu beigetragen hat sicherlich, dass etwa im Verlauf des Prozesses gegen Hoffmann und Birkmann eine antisemitische Motivlage kaum eine Rolle spielte, die Tat auch medial im weiteren Verlauf immer wieder entpolitisiert wurde und ein Aufschrei in der Mehrheitsgesellschaft im Anschluss an die Tat ausgeblieben war.Einen weiteren verdrängten und vergessenen Fall rechten und rassistischen Terrors stellt der Brandanschlag auf eine Unterkunft für vietnamesische Geflüchtete in der Hamburger Halskestraße dar. Am 22. August 1980 griffen Neonazis der Deutschen Aktionsgruppen (DA) die Unterkunft mit Brandsätzen an und ermordeten Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân. Beide waren erst seit kurzem in Hamburg und teilten sich das Zimmer, in das der Brandsatz einschlug. Die Deutschen Aktionsgruppen hatten im selben Jahr bereits einen Angriff auf das Landratsamt in Esslingen verübt, da in der Stadt eine „Auschwitz-Ausstellung“ stattfinden sollte, sowie einen Sprengstoffanschlag auf die Janusz-Korczak-Schule in Hamburg durchgeführt, wodurch zwei Menschen verletzt wurden. In den Wochen vor der Ermordung von Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân folgte eine Serie von Brandanschlägen auf Geflüchtetenunterkünfte. Sybille Vorderbrügge und Raymund Hörnle, die Täter*innen des Anschlags in Hamburg, hatten bereits am 30. Juli 1980 das „Sammellager für Ausländer“ im mittelfränkischen Zirndorf mit Sprengstoff angegriffen, das zu diesem Zeitpunkt glücklicherweise leer stand. Am 07. August folgte der nächste Brandanschlag der DA auf eine Unterkunft jugendlicher Geflüchteter. Zwei Bewohner erlitten Brandverletzungen. Am 17. August dann ein Rohrbombenanschlag auf eine Geflüchtetenunterkunft in Lörrach, bei dem weitere fünf Menschen schwer verletzt wurden. Beendet wurde die Terrorwelle der DA erst mit der Verhaftung des Anführers Manfred Roeder und weiterer Mitglieder. Vorderbrügge und Hörnle wurden in dem darauf folgenden Gerichtsverfahren wegen zweifachen Mordes zu lebenslanger Haft und Roeder wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung zu 13 Jahren Haft verurteilt. Während in diesem Prozess durchaus gegen eine terroristische Gruppe vorgegangen wurde, fiel das erweiterte Netzwerk der DA wiederum unter den Tisch. So bezogen sowohl die DA, als auch die Täter*innen des Oktoberfestattentats ihren Sprengstoff mutmaßlich aus dem riesigen Waffenlager des Neonazis Heinz Lembke. Wäre diese Verbindung frühzeitig ermittelt worden, hätten möglicherweise weitere Anschläge verhindert werden können. Stattdessen blieben die Netzwerke und Verbindungen zwischen den unzähligen Neonazi-Organisationen der Zeit weithin im Verborgenen.Roeder konnte nach dem Ende seiner Haftstrafe wieder die Funktion eines Bindeglieds im rechtsterroristischen Milieu einnehmen. Als er in den neunziger Jahren wegen eines Farbanschlags auf die „Wehrmachtsausstellung“ erneut vor Gericht stand, waren auch die späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt, Ralf Wohlleben und André Kapke vor Ort, um sich mit ihm solidarisch zu zeigen. Diese neue Generation rechter Terrorist*innen wusste um die ihnen vorausgegangen Gruppierungen und orientierte sich an deren Praktiken. So bezogen sich sowohl die DA als auch der Thüringer Heimatschutz, in dem mehrere Personen aus dem NSU-Komplex organisiert waren, auf militärische Anleitungen aus dem Terroristenhandbuch „Der totale Widerstand“. Auch Karl-Heinz Hoffmann trat ab 2010 wieder auf Veranstaltungen der rechten Szene auf und genießt als berühmte Symbolfigur in den entsprechenden Zusammenhängen bis heute hohes Ansehen. Beispielsweise waren bei einem seiner Vorträge auch Personen aus dem Unterstützer*innenumfeld des NSU anwesend und Stephan Ernst, der mutmaßliche Mörder von Walter Lübcke, merkte in einer polizeilichen Vernehmung an, mit Hoffmann Kontakt aufgenommen zu haben.Für einen nahtlosen Übergang zwischen neonazistischer Szene und Terrorgruppierungen stehen neben Hoffmann und Roeder auch Namen wie Friedhelm Busse, Michael Kühnen oder Thorsten Heise, deren Netzwerke sich überschneiden und bis in die Gegenwart reichen. Weil ihre Netzwerke nie ernsthaft zerschlagen wurden, konnten Schlüsselfiguren der Szene ihr Wissen weitergeben oder selbst weiter aktiv am Aufbau rechtsterroristischer Zusammenhänge mitarbeiten.  

Mehr als Parallelen
Seit der Selbstenttarnung des NSU werden Verbindungen zwischen rechten Strukturen und dem Verfassungsschutz angeprangert. Angemessen nachgegangen wird diesen Verbindungen jedoch nach wie vor nicht. Das Urteil im NSU-Prozess, das auf wenige Einzeltäter*innen zugeschnitten ist, hat zudem erneut den Unwillen zur Aufklärung von Neonazi-Netzwerken offenbart. Im NSU-Komplex zeigen sich viele Kontinuitäten im Umgang mit rechtem Terror, die sich mindestens durch die letzten vier Jahrzehnte ziehen. Bereits vor vierzig Jahren wurden Drohungen und Warnungen nicht ernst genommen und Zusammenhänge zwischen einzelnen Taten systematisch ignoriert. Taten wurden im Nachgang entpolitisiert und immer wieder ging man von Einzeltäter*innen mit individuellen Tatmotivationen aus. So wurden die Bedingungen für weitere Anschläge geschaffen. Auch die Anschläge 1980, durch die in weniger als einem halben Jahr insgesamt 16 Menschen ums Leben kamen und über 200 schwer verletzt wurden, hätten möglicherweise verhindert werden können, hätte man das rechtsterroristische Gefahrenpotential nur erkennen wollen. Wie sich rechte Strukturen in Deutschland über Jahre formieren, vernetzen und bewaffnen können, lässt sich nicht erst beim NSU, sondern schon am Beispiel der WSG nachvollziehen. Während die Wehrsportgruppe, von der eine Vielzahl an gewalttätigen Übergriffen und eine weitreichende Vernetzung mit anderen Neonazi-Gruppierungen dokumentiert war, durch die CSU-Regierung zwischen 1973 und 1980 fortwährend verharmlost wurde, waren linke und antifaschistische Organisationen durchweg mit Diffamierungs- und Kriminalisierungsversuchen aus demselben politischen Lager konfrontiert. Darunter auch jene Akteur*innen und Gruppierungen, die zu den Aktivitäten der Wehrsportgruppe und anderer Nazis recherchierten, über sie aufklärten, vor ihnen warnten und zu Protest gegen sie mobilisierten. Hierbei stellt der Antikommunismus in den 1970er Jahren eine Art ideologische Schnittstelle zwischen rechtskonservativen Regierungsparteien und neonazistischen Organisationen dar. Eine ähnliche Funktion erfüllt heute die sprachlich etwas modifizierte Extremismustheorie, mit deren Hilfe das Gefahrenpotential von rechts relativiert und organisierte Antifaschist*innen kriminalisiert werden.
Der rechte Terror von 1980 baut auf einer langen Geschichte rechter Organisierung und Gewalt auf. Nach 1945 gab es in Deutschland zu jedem Zeitpunkt rechte Organisationen, die zu Terror bereit waren. Bereits unmittelbar nach dem Ende des Nationalsozialismus und der Gründung der Bundesrepublik begingen nazistische Kommandos beispielsweise Anschläge gegen Institutionen der Entnazifierung um sich an Linken und den Siegermächten für die Niederlage Deutschlands zu rächen. Gleichzeitig lassen sich rechtsterroristische Attentate nur analysieren, wenn das vorherrschende kulturelle Klima, beziehungsweise eine gesamtgesellschaftliche Konstellation einbezogen werden. Massenhafte antisemitische Drohungen und Schmierereien, Grabschändungen auf jüdischen Friedhöfen, Angriffe auf Jüdinnen*Juden und auf Synagogen schufen über Jahrzehnte hinweg ein Klima der Angst bei den Überlebenden der Shoah und ihren Nachkommen. 1979 hatte die Ausstrahlung der Fernsehserie Holocaust eine Debatte über die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands angestoßen, die in weiten Teilen der deutschen Bevölkerung von erheblichen Abwehrreaktionen begleitet wurde. Überhaupt war der deutsche Umgang mit der NS-Vergangenheit von Abwehr und Ignoranz geprägt. Gleichzeitig setzte im Kontext von Fluchtbewegungen aus Südostasien in Deutschland eine rassistische Debatte über Geflüchtete ein, die angebliche Gefahren und Belastungen für die deutsche Kultur und Wirtschaft thematisierte. Den Kontext für diese Entwicklung bildeten die wirtschaftlichen Krisen und gesellschaftlichen Umbrüche der späten 60er und 70er Jahre. Gegen Ende der 70er Jahre führten diese zu einem allgemeinen Erstarken konservativer und reaktionärer Kräfte, welche die progressiven politischen Veränderungen der vorangegangenen Jahre als Grund für die gesellschaftliche Krise darstellten. Hoffnungsträger für dieses rechtskonservative Projekt war der ehemalige Wehrmachtssoldat und Rechtspopulist Franz-Josef Strauß. Er war 1980 der Spitzenkandidat der Unionsparteien für die anstehende Bundestagswahl, die eine Woche nach dem Oktoberfestattentat stattfand.
Die klar antikommunistische Agenda, die hinter vielen Anschlägen von Rechtsterrorist*innen in der früheren BRD steckte, war nicht nur anschlussfähig an die politische Linie der Unionsparteien, sondern auch an herrschende  Diskurse in einer Gesellschaft, die sich gegen eine „rote Gefahr“ vergemeinschaftete. Dieser gesellschaftlich getragene Antikommunismus, sowie die Verweigerung einer Auseinandersetzung mit den NS-Verbrechen in der frühen BRD, resultierten in einer Blindheit oder einem Desinteresse gegenüber offen rechter Gewalt. Auf diese Ignoranz konnten die Terrorist*innen setzen. Anschließend an breite, offen rassistische Debatten über Migrationsbewegungen nach Deutschland, machten Neonazis in den 80er Jahren vermehrt rassistisch markierte Personen zu Zielen ihrer Anschläge. Dabei konnten sie sich des zustimmenden Schweigens der vermeintlich demokratischen Deutschen stets sicher sein. Jene, denen die rechte Gewalt unmissverständlich galt, äußerten hingegen immer wieder ihre Ängste und Warnungen. Gehört wurden sie lange nicht, häufig auch nicht von Linken. Bis heute erklären weite Teile der Gesellschaft durch ihr Schweigen und durch die Verweigerung ihrer Solidarität mit Betroffenen rechter Angriffe, rassistisch markierte Personen, Jüdinnen*Juden, Sinti*zze und Rom*nja, Wohnungslose, LGBTQI* und mehr für vogelfrei, anstatt sie zu schützen. Die Entsolidarisierung der Mehrheitsgesellschaft und die Bedrängung der Opfer durch staatliche Behörden wirkt unterstützend für das Projekt der Neonazi-Terrorist*innen. Erst die gesellschaftliche (Nicht-)Reaktion macht das Vorhaben, Menschen einzuschüchtern, auszuschließen und zu verfolgen, komplett.

Bewältigung der Vergangenheit und Gegenwart
Politik und Mehrheitsgesellschaft konnten oder wollten Terror von rechts nicht nur deshalb nicht wahrnehmen, weil sie sich offenbar nicht davon bedroht fühlten, sondern weil er das Selbstbild der neuen deutschen Identität erschütterte. Weil rechte Gewalt nach 1945 im nun vermeintlich demokratisierten Deutschland dem eigenen Selbstverständnis nach keinen Platz mehr hatte. Da die Vergangenheit aber in solchen Taten offensichtlich nachlebte, mussten sie offensiv verdrängtoder relativiert werden. Allein der Versuch ein positives Image der deutschen Nation aufzubauen und zu pflegen war Anlass, um etwas gegen rechte Umtriebe zu unternehmen. So stellte auch der damalige Innenminister Bayerns, Georg Tandler, nach dem späten Verbot der WSG im Januar 1980 klar, dass dies vor allem aus Sorge um das Ansehen Deutschlands im Ausland ergangen sei, da man durch die „halbverrückten Spinner permanent diskriminiert“ werde. Auch nach dem Ende der langen Phase vollständiger Vergangenheitsabwehr musste rechte Gewalt im postnazistischen Deutschland möglichst unsichtbar bleiben. Jedoch versuchte man sich nun nicht länger durch Verschweigen der NS-Vergangenheit, sondern durch ihre instrumentelle Erinnerung nach rechts abzugrenzen. Offen sichtbare rechte Gewaltschadet der Erzählung von den wiedergutgewordenen Deutschen und ihrer Selbstinszenierung als Erinnerungsweltmeister, da sie jedes Mal aufs Neue verdeutlicht, dass Deutschland und Nazis nach wie vorzusammengehören. Die kontinuierliche Verdrängung der Gefahr, die damals wie heute von rechtem Terror ausgeht, erklärt, warum Politiker*innen immer wieder öffentlich mit Überraschung auf rechte Anschläge reagieren, wie etwa jüngst nach Halle und Hanau, und Medien regelmäßig die RAF als einzige Referenz für Terrorgruppen in Deutschland nennen.Währenddessen werden derzeit im ganzen Bundesgebiet regelmäßig neue Waffenlager ausgehoben, Drohschreiben verschickt und Anschläge verübt. Im Fahrwasser multipler gesellschaftlicher Krisen, die unter anderem umfangreiche globale Migrationsbewegungen hervorbringen, haben antisemitische und rassistische Ideologien, wie etwa die des “großen Austausches” an Wirkmächtigkeit gewonnen. Sie reichen von der Straße bis in die Parlamente und sind Grundlage für die Bürgerkriegsphantasien einer ganzen Bandbreite an autoritären Charakteren. Vor diesem Hintergrund hat sich die rechtsterroristische Sphäre in den letzten Jahren ausdifferenziert und umfasst unterschiedliche, nebeneinander existierende Formen: Alte, gut vernetzte Terrorgruppierungen, deren Mitglieder in der Neonaziszene sozialisiert wurden (Combat 18, NSU-Netzwerk), rassistische „Wutbürger*innen“, die nun selbst Brände legen oder Menschen angreifen, sich in Bürgerinitiativen zusammen findende Rassist*innen mit Terrorplänen (z.B. Gruppe Freital), über Onlineplattformen international vernetzte Terroristen, die ihre Taten alleine ausführen (OEZ-Attentat, Halle, Hanau) und rechte Netzwerke im Militär und den Sicherheitsbehörden (Nordkreuz/Uniter, NSU 2.0). In der großen Anzahl der oft offen geäußerten Drohungen und Anschlagsvorbereitungen zeigt sich das zunehmende Selbstbewusstsein der Neonazis. In einer Gesellschaft, in der Racial Profiling und ein brutales Grenzregime ebenso normalisiert sind wie rechte Todeslisten und öffentliche Übergriffe gegen rassistisch markierte Personen oder Jüdinnen*Juden kaum Aufsehen erregen, kann es nicht verwundern, dass sich rechte Netzwerke in diesem Umfang und mit diesem Grad an Militanz bilden. Da der Ermittlungseifer der Behörden in Bezug auf rechte Netzwerke und rassistische oder antisemitische Angriffe sich erfahrungsgemäß in Grenzen hält, ist nicht davon auszugehen, dass diese Entwicklung in absehbarer Zeit gestoppt werden wird.

Für ein antifaschistisches Gedenken
Wie die Aufklärung durch staatliche Behörden weist auch das offizielle Gedenken in Deutschland die Tendenz auf, rechten Terror zu entkontextualisieren und damit zu entpolitisieren. Die Erinnerung an rechten Terror nach 1945 muss immer vor dem Hintergrund an die Erinnerung des NS-Terrors betrachtet werden. Das Schweigen und die Schuldabwehr der deutschen Mehrheitsgesellschaft, eine oberflächliche Demokratisierung und das Normalitätsbegehren, also der Wunsch endlich zu den Guten zu gehören, sind die Grundlage dafür, dass rechter Terror und seine Opfer vergessen oder die Taten im Gedenken entpolitisiert werden. Dieses Vergessen und die fehlende gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Grundlagen und Voraussetzungen des Terrors machen ihn immer wieder möglich. Weil Rassismus und Antisemitismus in der ganzen Breite der Gesellschaft und ihrer Institutionen verbreitet sind, ob in der individuellen Einstellung oder strukturell, hört das Morden nicht auf. Deshalb dürfen wir nicht zulassen, dass das Gedenken an Opfer rechter Gewalt verdrängt wird, oder nur zur Selbstbestätigung der Mehrheitsgesellschaft dient. An Beispielen für den problematischen deutschen Umgang mit rechtem Terror ist auch die jüngere Vergangenheit nicht arm. Die Überlebenden des rassistischen Brandanschlags in Mölln 1992 wurden jahrelang nur als Statist*innen zu den öffentlichen Gedenkveranstaltungen der Stadt Mölln eingeladen und nachdem sie es geschafft hatten sich das Gedenken anzueignen und antifaschistisch zu gestalten, waren sie dort nicht länger erwünscht. Im November 2019 organisierte die Stadt Zwickau eine Gedenkveranstaltung für die Opfer des NSU, wozu die Angehörigen weder eingeladen waren, noch die Möglichkeit hatten, sich an der Gestaltung des Gedenkens zu beteiligen. In den Redebeiträgen wurde statt von rechtem Terror allgemein von Extremismus gesprochen. Auf der eingeweihten Gedenktafel waren die Namen der Opfer falsch geschrieben und erst durch die Intervention von anwesenden Aktivist*innen wurde ein von der AfD niedergelegter Kranz entfernt. Auch das offizielle Gedenken an Shlomo Lewin und Frida Poeschke in Erlangen trägt Spuren dieser Form von Vergangenheitsbewältigung. An der 2010 eingeweihten Freizeitfläche „Lewin-Poeschke-Anlage“ weist bis heute nichts auf den politischen Hintergrund des Mordes hin. Eine zentrale Aufgabe antifaschistischen Gedenkens muss es deshalb sein, der unkritischen offiziellen Erinnerung entgegenzuarbeiten, indem die verdrängten und ausgeschlossenen Anteile wieder in die Geschichte rechten Terrors integriert werden. Es kommt auf uns an, die Komplexe aus Täter*innen, ihren Unterstützer*innen und Netzwerken, sowie Staat und Gesellschaft herauszuarbeiten und anzuklagen. Unabdinglich ist dafür auch eine Reflexion der eigenen Positionierung und Praxis. Die Selbstenttarnung des NSU im Jahr 2011 traf auch die antifaschistische Linke unerwartet und markierte den Ausgangspunkt eines Wandels in der Auseinandersetzung mit rechter Gewalt. Denn auch Antifaschist*innen hatten die Betroffenen rechter Gewalt, ihre geäußerten Ängste, ihre Warnungen und Anklagen zu lange nicht wahrgenommen. Auch Antifaschist*innen hatten die Opfer vergangener rechter Gewalttaten vergessen und auch sie mussten lernen, Rassismus und Antisemitismus als Grundlage des Terrors und seiner Verschleierung zu verstehen. Ausgangspunkt dieses wichtigen Perspektivwechsels in der antifaschistischen Arbeit war die Selbstorganisation von Betroffenen und Migrant*innen. In der Folge entstanden viele lokale Initiativen, die sich mit der Aufarbeitung von Todesfällen durch rechte Gewalt, mit dem Gedenken an die Opfer und der Anklage der Zustände befassen. Auch werden immer mehr weit zurückliegende und oftmals bereits vergessene Fälle rechten Terrors aufgearbeitet und das Gedenken an die Opfer der Anschläge in den Mittelpunkt gerückt. Dies ist wichtig und unerlässlich, um die zerstreuten und vergessenen Anschläge zu einer Geschichte rechten Terrors zu verknüpfen um diese hinsichtlich ihrer Kontinuitäten besser verstehen zu können. Eine Erkenntnis aus dieser Reflexion, auch auf die linke Geschichte, ist, dass sowohl rechter Terror als auch der Umgang mit diesem als strukturelle Probleme zu betrachten sind. Die jüngsten Anschläge in Kassel, Halle, Hanau kommen nicht von ungefähr und markieren keine neue Qualität, sondern stehen in der Tradition vieler rechter Übergriffe und Attentate vor ihnen und fordern weitere Angriffe heraus. Unaufgeklärte Taten und Netzwerke, die Verurteilung Einzelner für gemeinsam vorbereitete Anschläge, Verbindungen zwischen staatlichen Behörden und Neonazis, die Kriminalisierung der Betroffenen und ihres Umfelds, die Ignoranz gegenüber ihren Bedürfnissen und Forderungen – auch dies sind keine Zufälle. Anstatt sich dumm machen zu lassen und etwa bei jedem neuen Fall von einem Versagen des Rechtsstaates zu sprechen, muss die Struktur selbst angeklagt werden. Denn das sich unablässig wiederholende Schema, das sich in den Terroranschlägen und dem gesellschaftlichen Umgang damit zeigt, hat seine Grundlage in einer Gesellschaftsordnung, in die Rassismus und Antisemitismus eingeschrieben sind. Antifaschistisches Gedenken muss deshalb immer mit der politischen Arbeit für eine Gesellschaft der Vielen verbunden werden, in der rechter Terror nicht länger möglich ist; auch wenn wir momentan in vieler Hinsicht in die Defensive gedrängt sind. Es bedarf also einer grundlegenden Kritik dieser Verhältnisse, anstatt sich mit der Feststellung zu bescheiden, dass der Staat seinen Pflichten nicht gut genug nachkäme. Die Geschichte zeigt uns, dass wir uns beim Kampf gegen den rechten Terror nicht auf den Staat verlassen können. Auch deshalb gilt es weiterhin breite antifaschistische Bündnisse mit Betroffenen rassistischer und antisemitischer Gewalt auf- und auszubauen, die den Rahmen für praktische Solidarität bieten. Gleichzeitig fordern wir den Schutz aller Menschen vor rechter Gewalt als absolutes Mindestmaß gesellschaftlichen Zusammenlebens ein. Die Forderungen sind und bleiben klar:

Nazinetzwerke entwaffnen und zerschlagen!

Verfassungsschutz auflösen!

Akten freigeben!

Entnazifizierung aller staatlichen Behörden jetzt!

Schluss mit der Kriminalisierung antifaschistischer und migrantischer Selbstorganisation! 

Kommt zu den antifaschistischen Gedenkveranstaltungen in München, Hamburg und Erlangen um gemeinsam der Opfer des rechten Terrors zu gedenken. Kein Vergessen!

In Erinnerung an:

Nguyễn Ngọc Châu
Đỗ Anh Lân

Gabriele Deutsch
Robert Gmeinwieser 
Axel Hirsch 
Markus Hölzl 
Paul Lux 
Franz Schiele 
Ignaz Platzer 
Ilona Platzer
Angela Schüttrigkeit
Errol Vere-Hodges 
Ernst Vestner 
Beate Werner 

Shlomo Lewin
Frida Poeschke

Social Media: #mehrals40jahre
40jahre.nonazis.net

antifa-nt
Bündnis gegen Naziterror und Rassismus
initiative kritisches gedenken erlangen
Initiative zum Gedenken an Nguyễn Ngọc Châu und Đỗ Anh Lân